
Die Zeit des Grafen Trips mit Mercedes 1955/56
Angesichts der Leuchtkraft Michael Schumachers verblasst eine andere Lichtgestalt des deutschen Motorsports im Halbschatten der Historie: Wolfgang Graf Berghe von Trips. Dabei sind die Parallelen verblüffend. Eine davon: Beide fuhren auch Mercedes-Benz-Sportwagen, ehe sie als Ferrari-Stars von sich reden machten.
Die Anfänge nahmen sich gleichwohl bescheiden aus für den jungen Adligen Trips, der sich gerade anschickte, in München ein Bankvolontariat anzutreten. Am 5. Januar 1955 richtete sein Mentor Dr. Hanswilly Bernartz, Präsident des Porsche-Clubs Köln, ein Schreiben an den allgewaltigen MercedesRennleiter Alfred Neubauer. Er stellte dabei heraus, sein Schützling wäre just deutscher Meister bei den Seriensportwagen bis 1.600 Kubikzentimeter geworden, „auf einem gebrauchten Porschewagen ohne jede Frisur“. Trips wäre „ein ausgesprochener Kämpfer, von sehr großer Zähigkeit und einer ausgeprägten Naturbegabung für das Fahren“. Schließlich folgte sein Anliegen: „Ich möchte Ihnen darum nahe legen, bei Ihren demnächstigen Probefahrten auf der Solitude, in Hockenheim oder auf dem Ring dem Grafen Berghe von Trips die Möglichkeit zu geben, einmal einige Runden vor Ihren Augen zu fahren.“

Die Antwort traf erst elf Wochen später ein. Neubauer wäre aufgehalten worden, Renngeschäfte überall in der Welt. Da stauten sich die Dinge schon einmal auf seinem Schreibtisch. Bernartz‘ Petition war auf steinigen Boden gefallen: „Sie werden vielleicht Zeitungsnotizen der letzten Tage entnommen haben, dass wir jährlich fast 4.000 Gesuche mit dem gleichen Ansuchen beantworten müssen. Sie werden auch zugeben, dass mir dies zu viel Zeit wegnimmt und wir sind darauf übergegangen, solche Antworten per Postkarte zu erledigen, von welchen ich Ihnen eine beilege.“
Kurz nach dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans am 11. und 12. Juni 1955, das er als Reservefahrer in der Porsche-Box verbracht hatte, erhielt Trips dennoch ein Telegramm, er möge sich umgehend bei Oberingenieur Alfred Neubauer melden. „Der Dicke“, wie er hinter seinem Rücken ängstlich-respektvoll genannt wurde, lud zu Testfahrten in Hockenheim einen Tag später ein, im 300 SL-Flügeltürer. Drei Dinge hatten ihn bewogen, seinen Bescheid noch einmal zu überdenken. Zum Einen begannen sich Empfehlungen wie die des Dr. Bernartz zu häufen. Zurn Anderen hatte Trips beim Training zum Eifelrennen im Porsche mit der Bestzeit aufgewartet. Zurn Dritten glänzte er bei der Mille Miglia Anfang Mai mit einem Kabinettstückchen, das Neubauer nicht entgangen war: ,,Am Futa-Pass“, erzählte er Burghard von Reznicek, Redakteur der Fachzeitschrift „Motor im Bild“, in einem Interview, „hatte ich scheußliches Pech. Das war, als mir in führender Position in meiner Klasse ausgerechnet das Gaspedal wegbrach. Mit Draht habe ich es festgeklemmt und nur mit dem Zündschlüssel gearbeitet. Und es ging.“ Er wurde Zweiter hinter Richard von Frankenberg.
Seine Vorstellung in Hockenheim fiel offenbar zu jedermanns Zufriedenheit aus: ,,Ich hatte kaum fünf Runden hinter mir, da machte mir das Fahren mit dieser Rakete einen solchen Spaß, dass ich im schönsten Powerslide durch die Kurven zog. Und ich sah auch, dass die Mercedes-Leute rund um die Strecke fuhren und sich ansahen, wie ich um die Kurven ging“, vertraute Trips seinem ausführlichen Tagebuch an. Als er am folgenden Tage in Untertürkheim vorstellig wurde, war Neubauer nicht anwesend. Seine rechte Hand, der Baron Alexander von Korff, hielt indes in einer Aktennotiz vom 23. Juni fest: „Trips war begeistert vom Training auf dem 300 SL und meinte, dass ihm der Wagen sehr gut liegen würde. Nachdem ich ihm ausrichtete, dass er am 3. Juli zwecks weiterer Proben mit dem 300 SLR zum Nürburgring kommen sollte, und in Aussicht stellte, eventuell am 1000-km-Rennen eingesetzt zu werden, meinte Graf Trips, dass er es sehr gerne tun würde, jedoch bei seiner Familie auf große Schwierigkeiten stoßen würde.“ So war es: Des Edlen Eltern sahen die Renn-Aktivitäten ihres Sohnes eher mit Unbehagen. Bis vor kurzem war Trips deshalb noch unter dem Pseudonym „Axel Linther“ gestartet.


eine Schwachstelle des 300 SL – und im Strohballen landete
Die 1000 Kilometer am Nürburgring fielen 1955 aus im schweren Schlagschatten der Katastrophe von Le Mans, die Mercedes-Pilot Levegh und über 80 Zuschauer das Leben gekostet hatte. Gleichwohl blieb es beim Stelldichein in der Eifel Anfang Juli. Der Novize radierte in seiner sechsten Runde den Traumwert von 10 Minuten und 16 Sekunden in den Asphalt des Rings, nur 20 Sekunden langsamer als Karl Kling bei seiner Bestzeit im Grand Prix-Wagen W196 während des Großen Preises von Deutschland im Jahr zuvor.
Am 6. Juli beorderte ihn ein Telegramm Neubauers zum Großen Preis von Schweden in Kristianstad am 7. August. Man beabsichtige, ihn mit dem 300 SL bei den Grand-Tourisme-Wagen einzusetzen. Drei Wochen später traf ein Brief der Direktion der Daimler-Benz AG auf seiner heimischen Burg Hem-mersbach bei Horrem ein. Man verhieß Trips eine Startgarantie von 1.000 Mark, dazu „das Startgeld der Firma Continental, Hannover, in Höhe von DM 250., sowie ein Taggeld im Gegenwert von 20 Dollar für die Zeit der Abfahrt von Ihrem Standort bis nach Beendigung dieser Aufgabe bei uns“.
Auf seiner Reise nach Schweden traf Trips in seinem zerbeulten Renn- und Reise-Porsche, der Neubauer umgehend zum Ärgernis gereichte, in Dänemark auf den „imposanten Mercedes-Konvoi“. Dass er im Training schneller unterwegs war als der etablierte Karl Kling, trug ihm Rüffel der Kollegen ein. Das wäre doch reichlich respektlos gegenüber dem älteren Herrn so kurz vor seiner Pensionierung, gab man ihm zu bedenken. Auch im Rennen selber lag er vor Kling. ,,Das Ergebnis war aber“, merkt er selbstkritisch an, „dass ich die Bremsen, eine der Schwachstellen des 300 SL, überbeanspruchte. Rauch, Gestank und Qualm waren die ersten Warnzeichen. In einem Strohballen konnte ich meine Hoffnungen auf einen gelungenen Einstand begraben.“



Schon vor dem Großen Preis von Schweden erreichte Trips eine weitere Einberufung aus Untertürkheim zur Tourist Trophy am 18. September. Diesmal wurde er streng in den Mercedes-Heerwurm eingebunden, der sich entsprechend Neubauers üblichem, pingelig ausgehecktem Marschplan unter Führung des Ingenieurs Heinz Lamm über Rastatt, Kehl, Straßburg, Luneville, Nancy, Ligny, Reims, St. Quentin, Peronne, Hazebrouck, Dünkirchen, Dover, London, Newport und Preston bis ins nordirische Larne in der Nähe des Kurses von Dundrod windet. Um sich mit dem 300 SLR vertraut zu machen, lenkte Trips dabei eine straßentaugliche Version des Rennsportwagens, das so genannte Uhlenhaut-Coupe.
Seinen offenen Renn-SLR Roadster teilte Trips mit dem Franzosen André Simon, war allerdings nicht böse drum, als Karl Kling in der Schlussphase der Tourist Trophy die dritte Schicht übernahm. Simon fühlte sich überfordert, war nach wenigen Runden im Regen mit resignierender Gebärde an die Box zurückgekehrt. Nur – Trips war müde: „Ich hatte bis dahin kaum Luft schöpfen können, musste jetzt aber unverzüglich weiterfahren. Als ich zum vorgeschriebenen Tanken etwa eine halbe Stunde vor Rennende wieder an die Box fuhr, war ich am Ende meiner Kräfte.“ Gemeinsam belegte man hinter den Mercedes-Kollegen Stirling Moss/John Fitch und Fangio/Kling immerhin den dritten Rang. Honoriert wurde dieser mit der Hälfte des Startgeldes und allen Prämien, abzüglich 10 Prozent für das Team.

Allerdings ereilte Trips fünf Wochen später ein Schreiben Neubauers, in dem sich dieser zu einem nachträglichen kleinen Aderlass veranlasst sah: ,,Ich hatte vergessen, Ihnen die so genannte Mechanikerprämie abzuziehen. Jeder der drei Hauptmechaniker erhält nämlich, wenn der Wagen den 1., 2. oder 3. Platz erzielt, DM 100.-. Diese Prämie entfällt je zur Hälfte auf Sie und Herrn Kling, weshalb ich Sie höflich bitten möchte, an meine Adresse im Werk Untertürkheim per Post den Betrag von DM 150.- zusenden zu wollen.“

Der Brief war datiert am 24. Oktober 1955. Offenbar räumte Neubauer seinen Schreibtisch auf: Zwei Tage zuvor hatte Daimler-Benz auf der jährlichen Ab-schluss- und Siegesfeier seinen Rückzug aus der Formel 1 und der Sport-wagenweltmeisterschaft erklärt. Arbeitslos war Trips deswegen nicht, nahm sein Volontariat in München wieder auf, strapazierte den geschundenen Porsche und wurde ab 1956 auch auf Werkswagen der Zuffenhausener eingesetzt.


Bei Daimler-Benz hatte er gleichwohl einen guten Eindruck hinterlassen. Bei der Mille Miglia am 28. und 29. April 1956 waren Neubauer & Cie. für so manchen Beobachter überraschend mit von der Partie. In den Worten des AvD-Organs „Automobil Revue“ sah das so aus: „Mercedes war diesmal wieder dabei, mit einem illustren Stab, an der Spitze die Renndirektoren Neubauer und Uhlenhaut, mit fast einem Dutzend Werksmonteuren. Es war eine Starbesetzung in der Betreuung für die Privatfahrer. Außerdem setzte das Werk zwei 300 SL mit Graf Trips und Fritz Riess und drei modifizierte Typen des Modells 220 ein.“
Der Auftritt des Rheinländers Trips war kurz, aber spektakulär: „Graf Trips sorgte sogar auf den ersten 400 Kilometern für die Sensation, indem er auf dem serienmäßigen SL vor den zum Teil stärkeren Spezial-Rennsportwagen in der Gesamtwertung führte“, berichtete das Blatt. Indes: „Dann kam sein Pech. In einer Kurve bremste ein Konkurrent plötzlich scharf, als Trips zum Überholen ansetzte. Um nicht mit dem sich drehenden Wagen zu kollidieren, zog er den Wagen aus der Bahn.“ Ende einer Dienstfahrt.
Wenige Wochen später, am 10. Juni, sollte Trips den 300 SL bei der Targa Florio fahren. Sein Co-Pilot war der schwedische Rallye- und Sportwagenfahrer Bengt Martensson. Schon in der ersten Runde wurde das Team durch einen Unfall eliminiert.

Kurz darauf war das Mercedes-Intermezzo des Grafen bereits Geschichte. Am 16. September 1956 hatte er es mit einem Paukenschlag beendet, indem er mit dem 300 SL des Düsseldorfers Wolfgang Seidel beim Großen Preis von Berlin auf der Avus die Klasse der GT-Wagen bis 3.000 Kubikzentimeter gewann, als erfreuliches Zubrot zu seinem Sieg bei den Rennsportwagen bis 1.500 Kubikzentimeter in einem Porsche 550 RS bei der gleichen Veranstaltung. Beim Großen Preis von Schweden jenes Jahres am 12. August in Kristianstad war er erstmals für Ferrari gestartet, Rang zwei im Rennsportwagen 290 MM zusammen mit Peter Collins. Von da an nahm das Schicksal des Reichsgrafen Wolfgang Alexander Graf Berghe von Trips unaufhaltsam seinen Lauf.
