BIZZARRINI – DIE BIZARRE STORY EINES GENIALEN INGENIEURS
Man schrieb das Jahr 1957 als ein gewisser Giotto Bizzarrini mit einem von ihm umgebauten Fiat 500 Marchietta von Livorno nach Modena fuhr, um sich bei Ferrari als Testfahrer vorzustellen. Der Commendatore lehnte ab! Stattdessen stellte er den jungen Bizzarrini als Chef-Ingenieur seiner Rennabteilung ein.
Giotto Bizzarrini hatte Benzin im Blut. Wahrscheinlich literweise. Er war ein begnadeter Tüftler. Dieses Talent erkannte Enzo Ferrari bei eben dieser ersten Begegnung 1957 und machte den jungen Bizzarrini nicht nur zum Chef-Ingenieur, sondern auch zum Entwicklungsleiter und Designer. Durch seine Arbeit beeinflusste er Ferrari wie kein Zweiter in dieser Zeit. Maßgeblich entwickelte er den 250 Testa Rossa oder den 250 GT SWB.
Ein Meisterstück war allerdings der berühmteste Ferrari aller Zeiten: Der legendäre Ferrari 250 GTO. Giotto Bizzarrini war damals vielleicht der genialste Techniker bei den Roten aus Maranello, ein Diplomat war er nie. Nach einer Palastrevolution – die er mit organisierte – verließ er 1961 Ferrari und gründete seine eigene Manufaktur, die Bizzarrini Automobili.
Nun entwickelte er für andere, wie den Traktorenfabrikanten Feruccio Lamborghini. Für ihn entwickelte er den ersten Lamborghini V-12 Zylinder Motor, dass Herzstück des 350 GT. Wieder setzte Bizzarrini Maßstäbe. Der Motor war bis in die 1980er das Herzstück aller Lamborghinis. Auch für den Mailänder Industriellen Renzo Rivolta entwarf er Modelle, unter anderem den Bizzarrini Grifo A3/C, einen GT Rennwagen mit amerikanischem V8 Motor und extrem leichter Aluminium-Karosserie.
Nach dem Vorbild des Ferrari 250 GTO wurde der Radstand verkürzt und der Motor so tief und weit wie möglich nach hinten verlagert. Das verlangte dem Fahrer körperlich zwar alles ab, doch die Straßenlage war wohl mit das Perfekteste, was es zu dieser Zeit auf den Straßen gab.
So perfekt, dass dieser Wagen 1965 in Le Mans erster seiner Klasse wurde. Die Fahrer erreichten dabei revolutionäre 306 km/h und donnerten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 169 km/h über den Parcours. Nach dem Rennen stieg Giotto Bizzarrini selbst in den Siegerwagen, fuhr 1250 Kilometer nach Livorno zurück und verkaufte den Siegerwagen tags darauf.
Nach Le Mans trennten sich Bizzarrini und Renzo Rivolta. Bizzarrini entwickelte aus dem A3/C den 5300 GT Corsa, um an weitere Rennen teilnehmen zu können. Finanziert wurde das durch die Straßenversion, den 5300 GT Strada. Insgesamt baute er in 1960er Jahren acht verschiedene Bizzarrini-Modelle. Das wohl berühmteste Modell entstand 1969.
Kein geringerer als Giorgio Giugiaro bat Bizzarrini um Unterstützung, um sein eigenes Unternehmen zu gründen. Auf der Basis des 5300 GT setzte Giugiaro die bis dahin wohl futuristische Karosserie auf, die die Welt je gesehen hatte und präsentierte mit dem dreisitzigen Bizzarrini Manta sein Design-Studio, die ItalDesign auf dem Autosalon Turin.
Bizzarrini, an dem leider kein Vollblutunternehmer verloren ging, was Selbstdarstellung und Marketing seiner eigenen Marke betraf, arbeitet die Jahre über stets im Verborgenen. Nur die allerwenigsten wissen, dass er für Opel den berühmten GT mitentwickelte. Auch der berühmte BMW M1 wurde von Bizzarrini technisch angedacht. Insgesamt entstanden so aus seiner Feder über 30 Sportwagen in der goldenen Ära der Gran Turismo und über 180 Bizzarrini´s in seiner eignen Manufaktur.
Als Doktor des Ingenieurswesen – den Titel hatte er sich als Student an der Universität von Pisa erarbeitet – wurde sein Unternehmen im Laufe der Jahre zu einem Beratungsunternehmen für die Automobilbranche. Ab und an entstanden diverse Prototypen, wie 2006 der Bizzarrini Ghepardo. Heute lebt der 91jährige Godfather of Gran Turismo zurückgezogen in Livorno.
Sein Unternehmen verkaufte er vor wenigen Jahren. 2016 präsentierte sich Bizzarrini Automobili wieder in Le Mans mit der Scuderia Bizzarrini. Ein Zeichen sollte gesetzt werden. Die einzige in Privatbesitz befindliche Sportwagen-Manufaktur mit Le Mans Historie lebt – und wie! Gerade wird ein komplett neuer Supersportwagen entwickelt. Und auf Basis des Mantas wird womöglich einer der aufregendsten E-Hypersportscars unserer Zeit entstehen. Die wundervollen Geschichte des Giotto Bizzarrini wird weiterleben.
Fotos: Bizzarrini Archiv
Autor: Diethelm Horbach