Sharknose – Die Renaissance des Ferrari 156

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Einer der schönsten Formel-1-Rennwagen, der Ferrari 156 Sharknose, ist den meisten Motorsport-Fans in Erinnerung geblieben. Vor allem deshalb, weil kein einziges originales Exemplar erhalten blieb, der Wagen in der Saison 1961 nahezu konkurrenzlos war und das Auto für viele Enthusiasten auf tragische Weise mit dem Andenken an Wolfgang Graf Berghe von Trips verbunden ist. Doch seit 2017 beleben zwei authentische Nachbauten des Ferrari 156 Sharknose die klassische Motorsport-szene – es sind die Fahrzeuge von Jason Stuart Wright.


Prolog: Commendatore Enzo Ferrari hielt lange am klassischen Konzept des Rennwagens mit Frontmotor fest. Es fiel ihm nicht leicht, die technische Tradition seines Unternehmens aufzugeben und ohne einschlägige Erfahrung mit Mittelmotor-Rennwagen quasi von vorn anzufangen. Der bekannte italienische Fach-Journalist Gino Rancati, Biograph und enger Vertrauter des Commendatore, kannte dessen Lieblingsspruch: „Das Pferd muss den Karren ziehen und nicht schieben.“ Deshalb verlor Ferrari bei der Entwicklung zum geänderten Antriebskonzept wertvolle Zeit. Rancati: „Ferrari tat nichts dazu, die Heckmotor-Idee voranzubringen; er suchte anfangs immer wieder neue Gründe, um dessen Erscheinen zu verzögern.“ Zur Vorgeschichte des Ferrari 156 Sharknose sei vermerkt, dass lange bevor die Gesetze der Aerodynamik und einschränkende Vorschriften das Design eines Formel-1-Autos bis an die Grenze der Uniformität bestimmten, unter-schieden sich die Konstruktionen der Rennställe gewaltig.

Zu den auffälligsten Grand Prix-Rennwagen zählt zweifelsfrei der Tipo 156 Sharknose der Scuderia Ferrari. Die Geschichte des legendären Autos begann streng genommen am 29. Oktober 1958, jenem Tag, an dem Ferrari-Pilot Mike Haw-thorn für den Gewinn der Formel-1-Fahrer-Weltmeisterschaft geehrt wurde und Tony Vanderwell den Pokal für das beste Team, Vanwall, entgegennahm. Kaum hatte sich der Applaus der Anwesenden gelegt, da vergällte Auguste Perouse den über-wiegend britischen Gästen den Abend.

Die Sharknose verbrauchte einen Liter weniger

Der CSI-Präsident verkündete, was ein siebenköpfiges Gremium zuvor hinter verschlossenen Türen ausgeheckt hatte: Ab 1961 werde der maximale Zylinderinhalt der Formel-1-Motoren nicht länger 2,5 Liter, sondern vielmehr 1,5 Liter betragen. Die Entscheidung war mit 5:2 Stimmen gefallen. Auf Ablehnung war die neue Formel lediglich beim britischen und – nicht ohne Bedeutung – auch beim italienischen Vertreter gestoßen. Während die in England ansässigen Teams die verordnete Aufwertung der Voiturettes nicht so recht glauben wollten, nahm Ferrari das neue Projekt von nun an geradlinig in Angriff: Konstrukteur Carlo Chiti konzentrierte sich zunächst auf eine zweite Generation jenes hauseigenen Formel-2-Motors, der 1957 als „Reduktion“ des 2,5-Liter-Sechszylinders entstanden war. 1960 wurde das Triebwerk in Monte Carlo als Kraftquelle einer Mittelmotor-Konstruktion – einem „Rohling“ des Tipo 156 – seiner Feuertaufe unterzogen. Es war der 246P, mit Rohrrahmen und Einzelradaufhängung. Das V6-Triebwerk hatte einen Hubraum von 2417 ccm und leistete rund 280 PS. Der Wagen wurde nur beim Formel-1-WM-Lauf am 29. Mai 1960 in Monaco eingesetzt.

Testfahrer Richie Ginther kam bei seinem GP-Debüt auf Rang sechs. Eine Woche später, beim Nieder-ländischen Grand Prix in Zandvoort, fuhr Trips den 246P zwar im Training, startete aber im Rennen mit dem Frontmotor-Dino vom Typ 246 F1. Zuvor hatte Wolfgang Graf Berghe von Trips diesen Wagen am 19. März beim Formel-2-Gran Premio di Siracusa zum Sieg gefahren. Und der rheinische Adelsmann sicherte sich auch auf der Solitude den ersten Platz. Dahinter folgte eine Armada von vier Porsche – Tripś Teamkollege Phil Hill wurde Siebter.

Letzter Triumph des Frontmotors

In Zandvoort wollte Ferrari mit dem „Kleinen“ erneut Formel-1-Luft schnuppern, aber ein Feuer machte dem Motor bereits vor dem Rennen den Garaus. Natürlich wurde neben den Renneinsätzen fleißig in Modena getestet, wo neben den Werksfahrern auch Ferraris Testpilot, der Italiener Martino Severi, zum Einsatz kam. Beim Heim-Grand Prix in Monza wollte Commendatore Enzo Ferrari zunächst auf schiere Power setzen und entsprechend auf den vergleichsweise schmalbrüstigen 1,5-Liter-Wagen verzichten. Als dann aber die britischen Teams den italienischen Grand Prix bestreikten, war mangels Konkurrenz der Freiraum für einen weiteren „Test unter Rennbedingungen“ gegeben. Der Wagen wurde Graf Trips anvertraut, und der machte seinen Job gut. Sein belgischer Stallgefährte Willy Mairesse zog den Miniflitzer im Windschatten aus der Reichweite der Gegner. Das Rennen hätte mit einem Vierfach-Triumph der Scuderia geendet, wenn von Trips keinen unnötigen Boxenstopp zum Check der Reifen eingelegt hätte. So den letzten Triumph der Frontmotor-Saurier.

Auch bei der Sharknose war Motorleistung ist nicht alles

Am 2. Oktober jenes Jahres fuhr der Reichsgraf den Interimswagen in Modena auf Platz Drei. Trotz der zufriedenstellend verlaufenen Erprobungsphase begann Carlo Chiti im Winter 1960/61 nochmals mit einem weißen Bogen Zeichenpapier: Der 65-Grad-V6-Motor wurde durch ein neues Aggregat mit einem Zylinderwinkel von 120 Grad ersetzt. Damit senkte er nicht nur den Schwerpunkt ab, denn zudem bot sich zwi-schen den Zylindern nun ausreichend Platz für Vergaser unterschiedlichster Hersteller oder alternativ eine Einspritzanlage. Als reinrassiger 1,5-Liter konzipiert, konnte bei vielen Bauteilen Metall eingespart werden, was das Gewicht entsprechend reduzierte. Der 65er und der 120er wurden 1961 sowie 1962 in je zwei Varianten mit unterschied-lichem Verhältnis von Bohrung und Hub eingesetzt. Parallel bekam der 156 seine endgültige Form mit der charakteristischen Bugpartie, die ihm schnell den Spitznamen „Sharknose“-Haifi schnase – einbrachte. Vor Beginn des WM-Auftakts 1961, dem Großen Preis von Monaco, gingen sieben F1-Rennen ohne WM-Status über die Bühne. Die Scuderia Ferrari glänzte jeweils durch Abwesenheit. Dann, Mitte Mai, ließen die Italiener die Katze in Monaco aus dem Sack. Theoretisch mussten neutrale Beobachter ihr Geld dort auf „Rot“ setzen, denn die drei Tipo 156 für Phil Hill, Wolfgang Graf Berghe von Trips sowie Richie Ginther ver-fügten über Triebwerke, die circa 15 Prozent mehr Leistung als die Motoren ihrer Rivalen entwickelten. Doch trotz des Leistungs-Handicaps fuhr Stirling Moss seinen Lotus-Climax dank überlegener Fahrkunst zum Sieg.

Vierfachsieg des 156 „Sharknose“

Aber sieglos blieb Ferrari an jenem Sonntag nicht. Auf dem Posillipo Circuit gewann Giancarlo Baghetti, der 1961 ein weiteres Mal positiv auf sich aufmerksam machen sollte, am Steuer eines 156 den Grand Prix von Neapel. Im holländischen Zandvoort, auf dem äußerst anspruchsvollen Dünen-kurs, konnte Moss das in Monte Carlo gezeigte Kunststück nicht wiederholen. Trips siegte vor seinem Teamkollegen Hill, und es zeichnete sich ab, dass die Ferrari-Pi-loten den Kampf um den WM-Titel unter sich ausmachen würden. Wer Überlegungen dieser Art zunächst nicht folgen wollte, der wurde spätestens auf dem damals noch 14,1 Kilometer langen Straßen-Circuit von Spa-Francorchamps in den belgischen Ardennen eines Besseren belehrt: Ferrari setz-te neben den drei genannten Werksfahrern zusätzlich den Belgier Olivier Gendebien ein, dem Enzo Ferrari einen in gelber Far-be lackierten 156 anvertraute. Die Rivalen bekamen im Kampf gegen dieses Quartett keine Schnitte: In der Reihenfolge Hill, von Trips, Ginther und Gendebien wurden die vier Haifischnasen nach gut zwei Stunden auf den Rängen Eins bis Vier abgewinkt.

Ferrari-Novize siegte

Auf der ultraschnellen Piste von Reims in der Champagne schienen sich bei glühender Hitze alle bösen Mächte gegen Ferrari vereint zu haben. Statt eine weitere Power-Demo à la Spa zu geben, patzten die Favoriten: Trips schied mit überhitztem Motor aus, nachdem ein Stein den Kühler seines Ferrari zerschlagen hatte. Hill dreh-te sich auf geschmolzenem Asphalt bei Thillois, würgte den Motor ab und fi el da-durch entscheidend zurück. Ginther übernahm die Führung, kam dann jedoch an die Boxen, weil er einen kapitalen Motorschaden befürchtete. Das Team schickte ihn wieder ins Rennen. Wenig später bewahrheitete sich die Befürchtung des Amerikaners. Aber Ferrari hatte noch ein Ass im Ärmel, den Neapel-Sieger Baghetti, der erstmals um Punkte in der Fahrer-Weltmeisterschaft kämpfen durfte. In einem denkwürdigen Duell setzte sich der Neu-ling mit einer Zehntelsekunde (genauer wurde damals noch nicht gemessen) gegen den Porsche-Fahrer Dan Gurney durch.
Climax: Konkurrenz kam
Mit einem Dreifach-Sieg im völlig verregneten britischen Grand Prix in Aintree wetzte Ferrari die Beinahe-Scharte von Reims bei erstbester Gelegenheit aus. Die Reihenfolge lautete hier Trips vor Phil Hill und Ginther. Auf der Nordschleife des Nürburgrings, der anspruchvollsten aller Rennstrecken, kam – wie schon in Monte Carlo – der Moss-Faktor zum Tragen. Der Brite zeigte den beiden Ferrari-Fahrern von Trips und Hill, dass Virtuosität im Cockpit feh-lende PS wettmachen kann. Moss gewann das Rennen überlegen vor dem Lokalmatador und dessen amerikanischen Stallge-fährten. Im Schatten des Duells der beiden roten Titelanwärter klopfte die Zukunft ans Tor des Fahrerlagers. Jack Brabham fuhr mit einem Climax-Achtzylinder – die Antwort der Engländer auf den Ferrari-Motor – im Rücken und holte sich den zweit-besten Startplatz. Im Rennen aber konnte er das Potenzial des neuen Motors nicht vorführen, denn wenige Kilometer nach dem Start rutschte der Australier im Streckenabschnitt Hatzenbach von der Bahn.

Monza-Drama und Enttäuschungen für die Sharknose

Es folgte das Drama von Monza. Am 10. September verunglückte der WM-Führende von Trips, der sich am Vortag seine erste F1-WM-Pole gesichert hatte, wegen einer Unaufmerksamkeit tödlich. Phil Hill siegte und sicherte sich damit den Titel. Beim abschließenden GP der USA trat die geschockte Scuderia nicht an. Natürlich waren die Briten wegen der Ferrari-Überle-genheit „not amused“ und viele meinten, man sei das Opfer einer Intrige geworden. Was die Verfechter dieser Verschwörungstheorie allerdings vergaßen, war, dass sich der italienische CSI-Deliegierte ursprünglich gegen die 1,5-Liter-Formel ausgesprochen hatte … Rückblickend steht fest: Handling-Schwächen des Autos wurden 1961 dank des überlegenen Motors überdeckt. Auch hier hätten die Verantwortlichen eingreifen müssen, aber Forghieri sagte später zu diesem Thema, für ihn hätte damals der Motor im Focus seines Interesses gestanden. Was das Chassis, das Getriebe und andere Paketbestandteile angeht, sind die Jahre 1962 bis 1965 eine „Lehrzeit“ gewesen. Wie auch immer – gemessen an der Gala des Vorjahres waren die Auftritte im Jahr danach bitter enttäuschend. Schon als Innes Ireland 1962 vor Saisonbeginn anlässlich der International Trophy in Silverstone eine Sharknose in Walker-Farben fahren durfte, kritisierte der Schotte das Fahrverhalten des Ferrari – zumindest auf nasser Piste – als eher bescheiden. Stirling Moss hatte seine Kar-riere kurz zuvor nach einem schweren Un-fall beenden müssen. Das Rennjahr wurde für die Titelverteidiger zur Qual. Rob Wal-ker, seines Zeichens Teamchef von Stirling Moss, konnte sich nicht vorstellen, dass den britischen Herstellern ein schneller Konter gegen die rote Dominanz gelingen könnte. Er einigte sich mit Enzo Ferrari und bestellte für 1962 eine „Haifi schnase“, die in Walker-Farben lackiert werden sollte. Noch bevor die Vorbereitungen für die kommende Saison auf Touren kamen, verließen Rennleiter Romolo Tavoni, Ingenieur Carlo Chiti und führen-de Mitarbeiter nach einem Streit die Scuderia Ferrari, um das eigene Team namens ATS auf die Beine zu stellen.

„Industrielle Probleme“ bremsten die Sharknose bei zwei Grand Prix aus

Angelo Bellei und der junge Mauro Forghieri, der sein Geld eigentlich in den USA als Flugzeug-Ingenieur verdienen wollte, nahmen sich der Modifizierung des Tipo 156 für 1962 an. Im Mittelpunkt standen ein neuer Zylinderkopf für den 120-Grad-Motor, ein überarbeitetes Sechsganggetriebe, eine leicht veränderte Heckpartie sowie kleinere Veränderungen im Bereich der hinteren Radaufhängung. Weggewischt von den aufgewachten Briten, hingen die Trauben für Ferrari zu hoch. Trostbonbons wurden in Zandvoort, wo Phil Hill Dritter wurde, in Monte Carlo, wo Hill und Lorenzo Bandini neben dem siegreichen Cooper-Piloten Bruce McLaren aufs Podest durften und in Spa geholt, wo Hill einen weiteren dritten Rang erobern konnte. Ansonsten Mittelmaß im Mittelfeld und die absoluten Tiefpunkte: In Frankreich musste die Scuderia passen, weil die italienischen Metaller streikten. In Aintree traten die frustrierten Italiener statt mit den geplanten drei Fahrern lediglich mit Phil Hill an, und der kam nicht über die Runden. Auf dem Nürburgring brachten zahlreiche von Forghieri veranlasste Chassis-Modifikationen nicht den erhofften Durchbruch. Lediglich Ricardo Rodriguez sorgte für einen fahrerischen Lichtblick, als er einen Wagen mit dem Ur-65-Grad-Motor auf den sechsten Platz fuhr. Der Doppelsieg von Lorenzo Bandini und Giancarlo Baghetti, der beim Nicht-WM -GP in Enna-Pergusa herausgefahren wurde, konnte die Enttäuschung nicht wettmachen, zumal keines der fünf Ferrari-Asse beim Home-GP in Monza stach. Willy Mairesse wurde immerhin noch Vierter, auf Rang Fünf folgte sein Teamgefährte Giancarlo Baghetti, aber das wurde den Ansprüchen des Arbeitgebers und der Tifosi natürlich nicht ansatzweise gerecht. Wenige Tage später erhielten die Ferrari-Fahrer Post vom Commendatore. Er teilte ihnen mit, dass die Scuderia infolge von „industriellen Problemen“ auf die Teilnahme an den Grands Prix in den USA sowie in Südafrika verzichtet.

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Willy Mairesse, Sieger des GP von Brüssel 1962

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Fotos: Bernard Cahier, Josef Reinhard, Archive Jörg-Thomas Födisch, Jochen von Osterroth, Hartmut Lehbrink

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