Porträt Desiré Wilson

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Lady First!

Über ihre Gesichtszüge glitt ein Anflug von Strenge, im Ausdruck schien die Frömmigkeit einer Klosterschülerin zu liegen. So lange sie aktiv war, betrieb Desiré Wilson ihren Sport mit tiefer Ernsthaftigkeit, interpretierte die Rennerei stets als harte Arbeit. „Ich habe aus den Fehlern meiner Kolleginnen Divina Galica und Lella Lombardi gelernt,“ philosophierte sie einmal, „denen war offensichtlich nicht klar, dass sie viel technisches Verständnis, viel Ernst und Nachdruck brauchen, um den Männern klar zu machen, dass sie nicht gegen eine Frau oder einen Kumpel fahren, sondern gegen einen Konkurrenten.“

Dabei stand sie nicht grundsätzlich mit der Männerwelt hinter dem Volant auf Kriegsfuß. Zu seinen Lebzeiten war Ronnie Peterson ihr großes Idol geworden. Aber sie blieb in der Auseinandersetzung mit dem so genannten stärkeren Geschlecht von flammendem Ehrgeiz beseelt. Wenn sie ihren Helm aufzog, dessen Design eine Krone zierte, war es ein wenig so, als breche sie zu einem Kreuzzug auf. Dass sie ausgerechnet auf ihrer Lieblingsstrecke, in Brands Hatch, die Qualifikation zum britischen Grand Prix 1980 verpasste, hatte sie nahezu persönlich genommen und war vorübergehend am Boden zerstört. Sie legte stets Wert darauf, sich nicht anzubiedern, sondern wollte zu ihren Einsätzen gerufen werden, als Rennfahrerin, nicht als PR-Gag.

Die Südafrikanerin Desiré Wilson ist immer noch die einzige Frau in der Motorsportgeschichte, die je mit einem Formel 1-Rennwagen ein Rennen gewann. Und ohnehin lassen sich die Vertreter des weiblichen Geschlechts, die vor ihr in einem solchen Gefährt Gas gegeben hatten, an den Fingern einer Hand abzählen. Sie sorgten in dieser Kategorie aber nicht annähernd für eine solche Furore wie Desiré Wilson. Dabei mutet es nur auf den ersten Blick exotisch an, dass die bisher in Summe erfolgreichste Frau in der Geschichte der Formel 1 aus einem entlegenen Zipfel der Welt stammt. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg waren in Südafrika Rennen mit Grand-Prix-Wagen ausgetragen worden; in den späten 50er Jahren schwoll auch dort die Motorsportbegeisterung weiter an. Es entstanden zahlreiche Rennstrecken mit bald klangvollen Namen: East London – längere Zeit auch Austragungsort des Grand Prix von Südafrika -, Kapstadt, Pietermaritzburg und andere.

„Er hatte eben keinen Sohn, und so musste ich ran“

Desiré Wilson kam am 26. November 1953 in Brakpan, an der Peripherie von Johannesburg zur Welt und wuchs somit in der Nähe der Kyalami-Rennstrecke heran. Vor allem aber: Ihr Vater Charles Randall war ehemaliger südafrikanischer Motorradmeister und Teamchef eines Zweiradrennstalls, ein in Motorsportkreisen bekannter Mann mit Verbindungen. „Er hatte eben keinen Sohn, und so musste ich ran“, klagte sie einmal. Schon mit sechs Jahren musste sie auf Micro Midgets Rennen fahren und anschließend so lange Seifenkisten, bis sie im Alter von zwölf Jahren südafrikanischer Meister war. Erst danach konnte sie vorübergehend eigene sportliche Interessen durchsetzen wie Leichtathletik und Springreiten. Aber der Vater setzte große Hoffnungen auf sie, und so gab sie noch einmal nach. Mit familiärem Geld begann die 18-jährige Miss Wilson in der Formel Vau, stieg dann um in die Formel Ford. Mit den Erfolgen stieg der Spaß an der Sache, 1976 errang sie ihren zweiten Meistertitel, wurde „Fahrerin des Jahres“ und konnte eine Prämie von umgerechnet etwa 6.500 Mark einstreichen. Ihre Ersparnisse aus einer Tätigkeit als Buchhalterin dazugelegt und liebevolle Unterstützung durch ihren Mann brachten sie nach Europa. Hier machte sie von vornherein mehr durch fahrerische Leistungen als durch den PR-Rummel auf sich aufmerksam. In der Saison 1977 wurde sie Dritte der Formel-Ford-Benelux-Meisterschaft und gewann einige Läufe. Dann traten schon Teamchefs aus der Formel 1 an die Amazone heran. Als Erster ließ sie John McDonald zu Jahresbeginn 1978 in Brands Hatch einen zwei Jahre alten March 761-Ford Cosworth mit gebrauchten Reifen ausprobieren. Prompt knallte Desiré eine Spitzenzeit in die Bahn und war nur eineinhalb Sekunden langsamer als Jean-Pierre Jabouille mit dem gerade aktuellen Renault-Formel 1. Wie überzeugend ihr Auftritt war, mag auch daran deutlich werden, dass in den 70er Jahren die Rundenzeiten der Formel 1-Wagen in Brands Hatch pro Jahr um durchschnittlich eine Sekunde fielen. Mit diesem Tag begann gleichzeitig ihre Romanze mit dem hügeligen 4,5-Kilometer-Kurs in der Grafschaft Kent.

„Wenn der Chef vor jedem Rennen um den Wagen läuft und meckert, fährt man mit Angst“

Relativ leicht fand sie Gönner und Sponsoren, die 150.000 Pfund zusammentrugen, um ihr auf einem Ensign des Theodore Racing Teams fünf Starts in der seinerzeitigen so genannten Aurora zu ermöglichen. Hier konkurrierten Privatfahrer auf ein bis zwei Jahre alten, ausrangierten Formel 1-Wagen der Werksrennställe. Die Fahrzeuge waren durchaus liebevoll vorbereitet, das Fahrerfeld bestand zum größeren Teil aus Rennprofis, die zumindest zeitweise auch als Gelegenheitsstarter an den Läufen zur Fahrerweltmeisterschaft teilgenommen hatten.In diesem Kreis steigerte sich Desiré Wilson schnell, von Schlussrang zehn in der Aurora-Serie 1978 über sieben 1979 auf sechs 1980. Mit dem Tyrrell 008-Ford Cosworth des Melchester Teams lag sie beim Saisonauftakt 1979 im belgischen Zolder lange Zeit in Führung, ehe sie ein Dreher auf den dritten Rang zurückwarf – aber auch der war schon ein Meilenstein für die „Frauenbewegung“ in der Vollgasbranche. Und dann kam der große Moment an Ostern 1980 in ihrer Wahlheimat Brands Hatch, als sie mit einem von Sidney Taylor zur Verfügung gestellten Wolf WR 6-Ford Cosworth der Männerwelt bis ins Ziel den Weg wies. Dabei ging es ihr aber wohl nicht nur gut. „Wenn der Chef vor jedem Rennen um den Wagen läuft und meckert,“ gab sie nachher zu Protokoll, „dann fährt man nicht mit dem letzten Risiko, sondern vielmehr mit Angst.“

Siebte im Lässig-Obermaier-Porsche 956 bei den 24h Le Mans 1983
Siebte im Lässig-Obermaier-Porsche 956
bei den 24h Le Mans 1983

Längst galt sie als reif genug auch für Einsätze in der Fahrerweltmeisterschaft und erhielt noch im selben Jahr an selber Stelle ihre Chance beim britischen Grand Prix in dem relativ potenten Williams FW 07-Ford Cosworth des Macdonald-Rennstalls. Als es darauf ankam, scheiterte sie jedoch im Qualifikationstraining wegen eines Stoßdämpferdefektes und der rüpelhaften Fahrweise des einen oder anderen Kollegen. Jacques Laffite drängte sie einmal sogar von der Strecke ab. Bei ihrem letzten Formel 1-Einsatz – eine kräftige Finanzspritze aus ihrem Mutterland hatte sie für den südafrikanischen Grand Prix 1981 in Kyalami sogar noch in einen Werks-Tyrrell gebracht – schaffte sie im Training den 16. Startplatz. Im späten Rennstadium rutschte sie dann aber ausgerechnet nach einer Kollision mit ihrem Teamkollegen Eddie Cheever ins Aus. Die harten körperlichen Anforderungen in der Formel 1 kommentierte sie in jenen Tagen so: „Wenn Gilles Villeneuve, der nicht wie ein Kraftprotz aussieht, den physischen Strapazen standhält, muss ich das auch können.“

„Professionell, sehr zuverlässig, präzise in der Fahrzeugabstimmung, außergewöhnlich kollegial“

Parallel und in der Folge wurden ihr wiederholt auch in guten und erstklassigen Rennsportwagen sowie in der CART-Serie in den USA Startgelegenheiten bis Ende der 80er Jahre geboten, wofür sie sich häufiger auch mit sehr guten Resultaten bedankte.

1980 gewann sie an der Seite von Alain de Cadenet in dessen Lola T 380-Ford Cosworth (unter dem Namen de Cadenet-Ford) mit den 1000 km Monza und den 6h Silverstone gleich zwei Läufe zur Markenweltmeisterschaft im Gesamtklassement. 1982 belegte sie auf einem Werks-Ford C 100 den vierten Platz bei den 1000 km Brands Hatch. 1983 beendete sie im Obermaier-Porsche 956 die 24h Le Mans an siebter Stelle im Gesamtklassement, 1984 die 1000 km Brands Hatch im Kremer-Porsche 956 an vierter Position. „Als ich sie kennenlernte, galt sie schon als professionell und sehr zuverlässig“, attestiert ihr Jürgen Lässig, in dessen Porsche 956 sie mit ihm 1983 in Le Mans fuhr. „Unter anderem war sie auch sehr gut und präzise in technischen Fragen und bei der Fahrzeugabstimmung. Darüber hinaus empfand ich sie stets als außergewöhnlich kollegial.“ Letztlich blieb sie als Rennfahrerin bis Ende der 90er Jahre in unterschiedlichsten Rennserien aktiv. Später trat sie unter anderem in die Verwaltung ihrer Lieblingsstrecke Brands Hatch ein und wurde dort auch als Instruktorin von Fahrerlehrgängen eine geschätzte Autorität.