Jean-Pierre Jabouille und der „jour de gloire“

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Am 2. Februar 2023 starb mit Jean-Pierre Jabouille ein weiterer französischer Grand-Prix-Pilot. 49 Starts, 186 Führungsrunden – das entspricht 985,142 Kilometern – aber nur 21 WM-Punkte: Eigentlich eine magere Ausbeute, doch diese beinhaltete zwei Siege, darunter der erste mit einem Turbo-Motor.


Die Anfänge des Jean-Pierre Jabouille

Nur 1,5 Sekunden trennten den kleinwüchsigen Martini-Renault-Mk19-Piloten René Arnoux vom Titelgewinn der Formel-2-Europameisterschaft 1976 über den langen Landsmann Jean-Pierre Jabouille im Elf-2J-Renault. Und genau diese Differenz musste Michel Lecère beim Finale in Hockenheim einkalkulieren, um seinen Teamgefährten Jabouille im gelben, von „Fromages Switzerland“ gesponserten Wagen auf den Meisterthron zu hieven. Es war ein spannungsgeladenes Rennwochenende mit zwei Läufen, deren Addition die EM-Punkte festlegte und bei dem nicht weniger als 19 Fahrer die Qualifi kation verpasst hatten. So groß war der Andrang. Die Zuschauermenge interessierte freilich weniger, wer aus der „Force de France“ mit Arnoux und Tam-bay contra Jabouille/Leclère den Titel holte, sondern, ob Publikums-Liebling „Strietzel“ Stuck den „Franzmännern“ zeigen würde, wo es in Hockenheim lang geht. „Strietzels“ Versuch, eingangs des Motodroms Leclère, Arnoux und auch Tambay auszubremsen, um im Windschatten des führenden Jabouille zu bleiben, schlug völlig fehl. Jabouille siegte vor Arnoux, doch das reichte noch nicht, zur Erfüllung der Titelambitionen. Teammager Jean Sage hatte folgende Kalkulation aufgestellt:„Arnoux führt nach diesem ersten Lauf immer noch mit 48 Punkten, gewinnt mein Jean-Pier-re hier das Gesamtklassement, kommt er auf 53 Punkte, das reicht aber nur, wenn Arnoux lediglich Dritter im zweiten Lauf wird.“ Da Leclères Motor besser lief als der von Jabouille. Sollte Michel die Führungsarbeit übernehmen und sieben Sekunden vor Jabouille gewinnen, aber bitte nicht mit mehr Vorsprung, sonst wäre das Gesamtklassement zu seinen Gunsten ausgegangen. Jabouille musste dann Arnoux lediglich auf Platz Drei bis ins Ziel im Schach halten. Und das gelang – um die bewussten 1,5 Sekunden. Somit gewann er das Championat mit einem Punkt Vorsprung.

Mit Freund Jacques Laffite als Schrauber

Der lange Blonde aus Paris, mit normannischen Vorfahren, Kunststudent und sportlich sehr ambitioniert – sogar beim Eisschnelllaufen – begann seine ersten Schritte im Motorsport am Berg und wech-selte dann in die Formel 3. Aus fi nanziel-len Gründen musste er alle technischen Probleme, einschließlich Motor-Revisionen, selbst lösen. Da bot sich sein Jugendfreund Jacques Laffi te als Helfer an. Um Geld zu sparen, wurde auf Hotel-Komfort verzichtet, man begnügte sich mit einem be-scheidenen Wohnmobil. Auch privat gab es Gemeinsamkeiten: Jacques langjährige Freundin und spätere Gattin Bernadette ist die Schwester von Jean-Pieres` Geneviève. Familiären Ärger gab es freilich, als Jacques mit Bernadette unbedingt drei Tage in Biarritz ausspannen wollte, als bei Jean-Pierre ein Renntermin in Nogaro anstand. Während sich Jacques am Strand sonnte, musste sein Schwager in spe anderweitig klar kommen. Da half nur das Engagement eines echten Rennmechanikers. Solchermaßen professionell unterstützt, holte sich der „Lange“ 1968, 69 und 71 nationale Meisterehren. Da nun auch Laffite mit der Rennerei begann, war Jacques jetzt sein eigener Schrauber. Nichts mehr mit Biarritz-Abstechern! Nur ab und zu `mal Angeln gehen – wie auch Jean-Pierre – konnte noch in den Terminkalender integriert werden. Jean-Pierre Jabouille war inzwischen in das Formel-3-Team von Alpine Renault mit internationalen Einsätzen aufgestiegen. So auch 1972, wo er beim ADAC-300-km-Rennen auf dem Nürburgring 1972 in einem A364 brillierte, überlegen den ersten Lauf gewann und mit 8.46,5 Minuten auch die schnellste Runde markierte. Hier wurde Hannelore Werner übrigens Siebte und Jochen Mass landete auf dem 21. Platz. Alpine-Kollege Michel Leclère musste sich im Folgejahr mit Jacques Laffite, in einem Martini-Holbay Mk.12 „sauschnell“, herumärgern. 1973 lehrte Jabouille der Konkurrenz in der 2-Liter-Sportwagenklasse das Fürchten. Bei einem Testtag der „Société Renault Alpine Elf“ vor 50 Jahren in Magny Cours tat er das auch mit dem Schreiber dieser Zeilen – als Mitfahrer auf dem „heißen Sitz“ im A440 neben ihm. Da lud auch Michel Leclère zu einer wilden Runde ein: Sie en-dete in einer fulminanten Dreher-Abfolge.

Jean-Pierre Jabouille mit einem Sieg und Podest-Plätzen in Le Mans

Auf einem Matra MS 670B wurde die beiden Jean-Pierres (Jabouille und Jaussaud) 1973 Dritte beim 24-Stunden-Ren-nen an der Sarthe. Diese Platzierung wiederholte Jabouille im Folgejahr zusammen mit Francois Migault. In jenen Jahren mischte Jean-Pierre auf Renault primär die Zweiliter-Sportwagen-Szene kräftig auf. Insgesamt trat Jabouille 13 Mal an der Sarthe an – und nur 1989 nicht auf einem französischen Produkt. Da kam er zusammen mit Jean-Louis Schlesser und Alain Cudini in einem Sauber-Mercedes C9 auf den fünften Rang. Höhepunkt: der Sieg 1978 auf Alpine-Renault A442. Nach sei-nem Ausfall – in Führung liegend – wurde er auf das nun vorn liegende Schwester-Auto dirigiert. Neben insgesamt acht Ausfällen eroberte er sich 1992 und 1993 zusammen mit Philippe Alliot und Mauro Baldi im Peugeot 905 nochmals Podest-Plätze. Während es Schwager Jacques Laffite bereits 1974 in die Formel 1 (ISO-Ford FW02) geschafft hatte – Debüt beim GP von Deutschland – kam Jean-Pierres Ein-stand beim GP von Frankreich 1975 auf dem Circuit Paul Ricard. Dank Sponsor „elf“ durfte er den dritten Tyrrell 007/5 pi-lotieren und kam hinter seinem Schwager im Williams-Ford FW-04 auf den 12. Platz. Erst 1977, mit dem Einstieg von Renault in die Formel 1 folgten für den inzwischen bereits 34-Jährigen die ersten vier Ren-nen in der Königsklasse. Der Auftakt in Silverstone im Renault R.S. 01 ein Deba-kel: drittletzte Startreihe – bei freilich zehn Nichtqualifi zierten, darunter auch Clay Regazzoni – und Turbolader-Defekt in der 17. Runde! Ohne WM-Punkte ging jene Saison bereits in Watkins Glen zu Ende.

Jabouilles Leidensweg 1978

Nehmen wir das Endresultat jener Saison vorweg: nur drei magere Punkte für Renault und Jabouille. Während das F2-Team mit René Arnoux und Didier Pironi 1977 in der Europameisterschaft dominiert hatte, litten die aufgeladenen V6-Motoren der Franzosen noch an diversen Kinder-krankheiten. Offenbar tat die Höhenluft von Kyalami dem Renault-Turbo gut, denn Jabouille war in der dritten Startreihe gelandet, doch in der 38. Runde ging der Motor wegen eines Lecks im Kühlsystem hoch. Turbolader-Schaden in Long Beach und vier Runden Rückstand-Frust in Mon-te Carlo, doch dann kam für die Mann-schaft von Gérard Larrousse und Jean Sage der Triumph über Porsche in Le Mans, wo das Trio Pironi/Jaussaud/Jabouille 5044,53 siegreiche Kilometer abspulte. Später nahm Didier Pironi J.v.O. in Le Castellet in diesem Siegerwagen mit, eine Fahrt, die mit einem Dreher am Ende der Mistral-Ge-raden bei knapp 300 Sachen in den Fang-zäunen endete. Leider hatte Renault nach dem 24-Stunden-Triumph verkündet: „Wir haben eine extreme technische Aufgabe gelöst, damit ist Le Mans für uns passé.“ Man wollte sich jetzt ganz auf die Formel 1 konzentrieren. Jean- Pierre: „Und das haben
wir bitter nötig:“ Gebrochene Ölleitung in Anderstorp und mit 14 Runden Rückstand in Zolder außerhalb der Wertung. Jean-Pierre: „Das Einzige, was uns hier Freude bereitet, ist unser neuer Renn-Transporter.“ Motorschäden in Brands Hatch und Le Castellet. Zu Hause in Frankreich war das besonders ärgerlich, denn bereits in der Einführungsrunde brabbelte der Motor. Ein Umstieg auf das völlig intakte Reserve-Auto mit Start aus
der Boxengasse fiel flach, denn mit diesem Monoposto hatte Jackie Stewart zu-vor Filmaufnahmen gemacht. Sage: „Die Kamera-Demontage und die Anpassung der Pedalerie vom kleinen Stewart auf den Langen hätte gut 30 Minuten gedauert.“ Motorschaden auch in Hockenheim und Getriebedefekt auf dem Österreichring! Neben Niki Lauda in der zweiten Startreihe in Monza und eine gebrochene Ventilfeder im Rennen! Jean Pierres Moral wurde stark strapaziert, denn auch in Zandvoort verreckte der Turbo-Motor. Nur in Watkins Glen gab es drei Punkte. Voller Hoffnung und Vertrauen auf sein Team erzählte Jean-Pierre anschließend mir, für „rallye racing“ vor Ort: „ Jochen, wir haben nach diesen vielen Pannen auch viel gelernt. Unser Ziel ist der erste Sieg eines Turbo-Motors in der Formel 1, und den wirst Du bald erleben.“

Jean-Pierre Jabouille – Le jour de gloire!

Der in Bezug auf die Technik seines Rennwagens äußerst versierte Jean-Pierre Jabouille fuhr 1979 – nach einem weiteren Motorendefekt in Buenos Aires – in Interla-gos nur auf Ankommen, während Schwa-ger Laffi te einen weiteren Start-Ziel-Sieg im Ligier JS11 feiern konnte. In Kyalami stellte er den R.S. 02 auf die Pole-Position, leider brach in der 48. Runde eine Ventilfeder. Beim Training in Long Beach scherte eine Halbwelle ab: Jabouilles Renault spielte anschließend mit 270 km/h Pingpong mit den Begrenzungsmauern. Jean-Pierre kam mit blauen Flecken davon. Da aber auch bei seinem neuen Teamgefährten René Arnoux die Halbwellen versagten, verzich-tete Renault aus Sicherheitsgründen auf einen Start. Nach drei Null-Nummern folg-te der Grand Prix von Frankreich in Dijon – der Durchbruch! Ein Paukenschlag be-reits in der Qualifi kation, denn Jean-Pierre Jabouille und René Arnoux verwiesen die Herren Villeneuve, Piquet, Scheckter und Lauda klar auf die Plätze. Während sich Gilles Villeneuve und René Arnoux – Ab-stand meist innerhalb einer Sekunde – ein heftiges Duell um den zweiten Platz lie-ferten, zog Jean-Pierre locker davon. Freudentränen in der Équipe Renault: erster Turbo-Sieg in der Formel 1! Während Jean-Pierre in Silverstone wieder einmal von einer gebrochen Ventilfeder „geprügelt“ wurde, rettete sich René Arnoux mit nachlassenden Bremsen als Zweiter hinter Clay Regazzoni über die Ziellinie. Jabouilles Pole-Position in Hockenheim „erstickte“ nach einem Dreher im badischen Sand neben der Pis-te. Einziges erquickendes Erlebnis jenes Wochenendes: Die Formel-1-Party im „Dorian Gray“ des Frankfurter Flughafens. Kupplungsschäden in Zeltweg und Zandvoort, in Monza einmal mehr eine gebroche Ventilfeder, Jean-Pierre: „Es ist zum Verzweifeln.“ Bremsdefekt in Montreal, Wasser in der Elektrik beim Regen-rennen von Watkins Glen: Jean-Pierre blieb auf seinen neun Punkten von Dijon sitzen.

Jabouilles Zweiter und letzter Sieg

Auch wenn sich Jean-Pierre Jabouille 1980 mit einem Sieg auf dem Österreich-ring bestens für einen Wechsel zu Ligier-Talbot empfahl, so konnte seine sonstige Punktausbeute – nämlich deren eine glatte Null – nicht darüber hinwegtäuschen, dass Renault ihm den Nummer-1-Status ihm Team nicht mehr geben wollte. Schließlich hatte der sechs Jahre jüngere René Arnoux 29 Punkte eingefahren. Jean Sage: „Am Mittwoch vor Imola hatten wir nach heftigen Diskussionen mit unserer Direktion eine Vertragsverlängerung durchgeboxt und diese Jean- Pierre vorgelegt. Vier Tage später bat er jedoch um Vertragsauflösung.“ Aus dem erklärten Ziel von Team-direktor Gérard Larrousse, 1980 den Titel anzupeilen, war natürlich nichts geworden. Bei Ligier, fortan „Talbot Gitanes“ genannt, hatte sich Didier Pironi in Richtung Ferrari verabschiedet. Dem Angebot von Gérard Ducarouge, Konstrukteur und Teamchef des anderen, erfolgreicheren französischen Teams, konnte Jabouille für 1981 nicht widerstehen: „Die hatten mir die doppelte Summe der Renault-Offerte angeboten, und außerdem reizte es mich, zusammen mit meinem alten Freund und Schwager Jacques in einem Team zu fahren.“ Dann kam der GP von Kanada mit einem tragischen Unfall. In der 25. Runde brach am Renault R. E. 23 von Jabouille eine Radaufhängung. Ungebremst mit 160 km/h raste der Renault frontal in eine Mau-er aus Reifenstapeln und Leitplanken. Über 30 Minuten lang blieb Jabouille mit offenen Beinbrüchen im Wrack gefangen, ehe er in ein Krankenhaus zur Notoperation gebracht werden konnte. Jacques Laffite, der zwei Runden vor Schluss ohne Benzin stehen geblieben war, eilte sofort ins Hospital. Inzwischen organisierte TAG-Chef Mansour Ojjeh eine Rückführung Jabouilles nach Paris in seiner privaten Boeing 707.

Jean-Pierre Jabouille mit Talbot-Ligier-Matra-Gastspiel

Am 3. Mai 1981 gab der wieder einiger-maßen genesene Jabouille sein Comeback beim GP von San Marino in Imola: Motorschaden in der 46. Runde. In Zolder hatte er sich immerhin vor Mario Andretti in der achten Startreihe qualifiziert, doch erlitt er einen Differential-Bruch, während Jacques Laffite über einen zweiten Platz strahlte. Hinter Keke Rosberg war Jabouille Zweiter der insgesamt elf Nicht-Qualifizierten in Monaco, während Laffite das Podest er-klimmen konnte. Laffite auf Pole-Position und Zweiter in Jarama – Schwager Jabouille abgeschlagen und mit Bremsdefekt ausgefallen, da gab Jean-Pierre auf und überließ sein Cockpit Patrick Tambay ab dem Heim-Grand Prix in Dijon. Ironie des Schicksals: Hier stand der Renault von René Arnoux auf der Pole-Position und Alain Prost, Ja-bouilles Renault-Nachfolger, feierte seinen ersten F1-Sieg. Als Teamberater bei Talbot gab Jabouille noch ein zusätzliches Gast-spiel. Nach diversen Tourenwagen- und zwei Le Mans-Einsätzen für Peugeot über-nahm er die sportlichen Geschicke dieses französischen Konzerns, freilich ohne For-tune. Während Sohn Victor ebenfalls mit der Rennerei begann, gönnte sich Jean-Pierre bis 2005 noch ein paar GT-Outings zusammen mit Alain Prost, sozusagen als Alt-Herren-Riege. Im Februar 2023 starb Jean-Pierre Jabouille – nach Patrick Tambay und Philippe Streiff bereits der dritte ehe-malige französische Grand Prix-Pilot innerhalb weniger Wochen.

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Fotos: Archive Renault, Talbot, Peugeot und von Osterroth, Eddi Laumanns, Ferdi Kräling und Jochen von Osterroth