Vier Einsätze reichten

Vor 60 Jahren: Mercedes Benz gewann erstmals eine Sportwagen-Weltmeisterschaft, mit einer Neukonstruktion auf Anhieb, dem 300 SLR
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Der 300 SLR

Als Mercedes-Benz mit dem 300 SLR am 1. Mai 1955 bei der Mille Miglia verspätet in die Sportwagen-Weltmeisterschaft 1955 eingriff, waren bereits zwei Rennen zum Championat gelaufen, allerdings – und das sollte sich in der Folge auch als nicht unvorteilhaft für Mercedes-Benz erweisen – mit schon unterschiedlichen Sieger-Marken. Es kam noch hinzu, dass der erste Lauf, die 1000 km Buenos Aires am 23. Januar, kaum im Fokus von Werksteams gestanden hatte, hier waren aus diesem Kreis nur Ferrari und Gordini am Start gewesen, aber beispielsweise auch nicht im Hinblick auf die punkteträchtige Gesamtklassement-Wertung Aston Martin, Jaguar und Maserati. Da darüber hinaus aus den sechs WM-Läufen am Saisonende ohnehin nur die vier besten Resultate einer jeden Marke für die abschließende Punktewertung herangezogen werden würden, war die Ausgangslage für Mercedes-Benz mit dem verspäteten Start bei noch genau vier ausstehenden Läufen tatsächlich nicht so schlecht, wie es von der Papierform her den Anschein hätte haben können.

In Buenos Aires erntete Ferrari die ersten acht Meisterschaftspunkte für einen Sieg, auf den Podiumsplätzen standen ausschließlich private einheimische Teams und Fahrer, Enrique Saenz Valiente/José-Maria Ibanez im 375 Plus und Carlos Najurieta/César Rivero im 375 MM feierten einen Ferrari-Doppelsieg. Den dritten Platz belegten ihre Landsleute José M. Faraoni/Ricardo Grandio in einem Zweiliter-Maserati A 6 GCS. Auch das 80 Wagen-Starterfeld der 12 h Sebring am 13. März bestand de iure zu mehr als 90 Prozent aus privaten Teams, allerdings de facto recht oft doch mit einer gewissen Werksunterstützung, zumindest durch Ausstattung mit den neuesten Rennsportwagen-Kreationen und zur Seite stehen mit beratendem Know-how, wenn denn nicht sogar hier und da durch Unterstützung mit dem einen oder anderen Werksfahrer. Das galt auch für die Gesamtsieger, den Engländer Mike Hawthorn und den Amerikaner Phil Walters im Jaguar D-Type des professionell geführten US-Racing Teams von Briggs Cunningham. Zweite wurden die Amerikaner Phil Hill und Carroll Shelby im neuen Ferrari 750 Monza des Rennstalls von Allen Guiberson vor ihren Landsleuten William Spear/Sherwood Johnston im ebenfalls neuen Maserati 300 S, den Ersterer privat gemeldet hatte. Ferrari führte nun in der Meisterschaft mit 14 Punkten vor Jaguar und Maserati mit je acht Zählern.

Die nächsten Kurven aus seiner Papierrolle heraus per Handzeichen signalisiert

Dann erschien Mercedes-Benz zum berüchtigten 1000 Meilen-Rennen über öffentliche Straßen zwischen Brescia und Rom mit Start-und-Ziel in Brescia und brachte dort gleich nicht weniger als vier 300 SLR mit. Beim traditionellen „Rennen gegen die Uhr“, bei dem die 534 Starter (!) in zwölf Klassen am 1. Mai 1955 einzeln hintereinander von der Startrampe in Brescia auf die Reise geschickt wurden, raste zunächst der junge Italiener Eugenio Castellotti in einem privat gemeldeten 4,4 Liter-Ferrari 121 LM vornweg. In Ravenna an der Adria führte er bereits mit zwei Minuten Vorsprung vor dem neuen Mercedes-Star Stirling Moss. Obwohl es für Moss bereits der fünfte Mille Miglia-Start war, vertraute er nahezu blind auf seinen Landsmann neben ihm, den Journalisten Denis Jenkinson, der ihm unterwegs unermüdlich die nächsten Kurven aus seiner Papierrolle heraus per Handzeichen signalisierte. Im Gegensatz dazu fuhren die ebenfalls Mille Migliaerfahrenen Juan Manuel Fangio und Karl Kling ihre Mercedes 300 SLR allein, Hans Herrmann wiederum, auch kein Mille Miglia-Neuling mehr, vertraute hier auch auf Beifahrer Hermann Eger mit den Strecken-Details in seiner Kladde.

Auf dem Weg nach Pescara hatte der geschundene Castellotti-Ferrari von „den Tritten“ seines Fahrers genug, Moss ging in Führung. Zu diesem Zeitpunkt war auch schon der ebenfalls gut gestartete Werks-Ferrari 118 LM von Paolo Marzotto nach einem Reifenschaden ausgefallen. Damit verblieb als einziger ernstzunehmender Mercedes-Konkurrent in der Spitze der Werks-Ferrari 118 LM mit dem Italiener Piero Taruffi, der auch prompt auf der Sprint-Etappe nach Pescara mit einem Schnitt von mehr als 209 km/h dort einen neuen Mille Miglia-Rekord aufgestellt hatte. In L’Aquila lag Moss 35 Sekunden vor Herrmann, dann folgten Taruffi, Fangio und Kling, alle Mercedes unter den ersten Fünf. Bei Fangio kündigten sich allerdings Motorprobleme an. Beim „Wendepunkt“ in Rom führte Moss eine Minute und 15 Sekunden vor Taruffi, etwas später wich Karl Kling einigen Zuschauern aus, krachte in einen Baum und brach sich einige Rippen.

In den Bergen auf dem Weg nach Siena fiel Taruffi mit defekter Ölpumpe aus, nun waren vorn die drei Mercedes-Teams unter sich, Moss/Jenkinson lagen fünf Minuten und 40 Sekunden vor Herrmann/Eger. Die Mercedes-Mechaniker checkten Fangios Wagen, dessen Motor aufgrund einer gebrochenen Benzineinspritzungsleitung nur noch auf sieben Zylindern lief. Auf dem Weg nach Florenz griff Hans Herrmann Stirling Moss noch einmal an, der auf dieser Etappe seinen Vorsprung nur um weitere acht Sekunden vergrößern konnte. Allerdings war bei Herrmann/Eger beim letzten Tankstopp in Rom der Tankdeckel nicht richtig verschlossen worden. Auf dem Weg nach Bologna über den gefürchteten Futa-Pass sprang er ab, Herrmann und Eger wurden zunehmend mit Treibstoff geduscht. Als Hans Herrmann einen Schwall davon in die Augen bekam, streifte er eine Felswand, Dreher und Aus. So siegten Moss/Jenkinson mit neuem Mille Miglia-Rekord von zehn Stunden und sieben Minuten, letztlich 32 Minuten vor Fangio und 45 Minuten vor dem Werks-Ferrari 118 LM der Italiener Umberto Maglioli/Luciano Monteferrario. Neuer Zwischenstand in der WM: Ferrari 18 Punkte, Maserati 11, Jaguar und Mercedes je 8.

In Führung, aber Rückzug um 2 Uhr morgens

Die 24 Stunden von Le Mans am 11./12. Juni wurden dann von der anerkannt größten Katastrophe in der Geschichte des Motorsports schwer überschattet. Mercedes-Benz trat mit drei 300 SLR in den Händen der Fahrer-Teams Juan Manuel Fangio/Stirling Moss, Karl Kling/André Simon und Pierre Levegh/John Fitch an. Hans Herrmann kurierte für den Rest der Saison schwerere Verletzungen aus, die er sich bei einem Trainingsunfall mit dem Mercedes-Formel 1 beim Grand Prix von Monaco zugezogen hatte. Die Verpflichtung der hinter den Lenkrädern nicht regulären Franzosen Simon und Levegh, der auch dadurch berühmt geworden war, dass er in Le Mans 1952 mit einem Lago Talbot 23 Stunden allein fahrend (!) beinahe das Rennen gewonnen hätte, war eine Hommage seitens Mercedes-Benz gegenüber dem französischen Publikum.

Zwei Stunden nach Start des Rennens, das in der Anfangsphase durch ein hartes Duell zwischen Fangio im Mercedes und den dann gerade führenden Mike Hawthorn im Jaguar D-Type geprägt war, kam es auf der Zielgeraden in einem Wagen-Pulk zu einer unglücklichen Kette von Einzelreaktionen. In der Hitze des Gefechts mit Fangio hatte Mike Hawthorn zuvor wohl auch mehrere Boxensignale übersehen, die ihn zum fälligen Tankstopp herein beordern sollten. Zu Beginn der 35. Runde bremste er auf der Zielgeraden nach dem Überholen des Austin-Healeys von Lance Macklin plötzlich abrupt ab und steuerte quer vor diesem in die seinerzeit noch nicht abgetrennte Boxengasse. Macklin sah sich zu einem spontanen und unvorhersehbaren Ausweichmanöver nach links gezwungen und touchierte dabei den bereits halb neben ihm liegenden schnelleren Mercedes 300 SLR von Pierre Levegh, der in die Streckenbegrenzung krachte, wobei der Wagen und Teile in die Zuschauer flogen, der auslaufende Treibstoff Feuer fing und die ganze Unfallstelle in Brand setzte. Der Franzose und über 80 Zuschauer verloren ihr Leben.

Der dicht hinter Levegh liegende Fangio kam wie durch ein Wunder unversehrt durch die Unfallstelle, erklärte später, er wäre noch durch ein Handzeichen Leveghs gewarnt worden. Um Mitternacht führten die beiden Mercedes von Fangio/Moss und Kling/Simon, um zwei Uhr morgens aber erhielt Mercedes-Ingenieur Rudolf Uhlenhaut einen Anruf aus Stuttgart, die Autos aus dem Rennen zu nehmen. Der Jaguar D-Type von Mike Hawthorn/Ivor Bueb siegte vor dem Aston Martin DB 3 S von Peter Collins/Paul Frère und einem weiteren D-Type der Belgier Johnny Claes/Jacques Swaters. In der Tabelle lag Ferrari nun mit 18 Punkten vor Jaguar mit 16, Maserati mit 11 und Mercedes mit 8.

Drei Runden vor fallen der Zielflagge blieb der Jaguar mit Motorschaden stehen

Für die RAC Tourist Trophy am 18. September über den knapp zwölf Kilometer langen ebenso anspruchsvollen wie gefährlichen, engen Straßenkurs rund um Dundrod in Nordirland meldeten die Stuttgarter drei 300 SLR, besetzt mit Fangio/Kling, Moss und dem Amerikaner John Fitch sowie André Simon und dem jungen, talentierten deutschen Grafen Wolfgang von Trips, der hier in einem Weltmeisterschaftslauf seine erste Chance in einem hochkarätigen Rennsportwagen erhielt. In einem 55 Wagen-Feld waren bereits 15 Hersteller werksseitig engagiert. Die Trainingsergebnisse kündigten auch ein weiteres Duell Mercedes-Jaguar an, Moss/Fitch (4.48,0 Minuten) hatten die Pole Position vor Mike Hawthorn/Desmond Titterington im D-Type (4.49,0) erobert, von Trips/Simon gingen von Startplatz sieben ins Rennen.

Das Rennen war über 84 Runden und damit über eine Gesamt-Distanz von nahezu 1.000 Kilometer angesetzt, es wurde bei gutem Wetter gestartet, später allerdings erhöhte Regen noch die Gefahr zusätzlich auf einer Strecke ohne jegliche Spielräume. Nach dem Flaggenfall jagten Moss im Mercedes und Hawthorn im Jaguar in einer Welt für sich allen anderen davon, Letzterer drehte die schnellste Rennrunde mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 150 km/h, ein Wahnsinn auf diesem Kurs. Als Moss mit einem Vorsprung von eineinhalb Minuten führte, platzte der rechte Hinterreifen und schlug gleich auch Teile der Karosserie kaputt. Er schaffte es aber irgendwie noch in die Boxen, wo die Mechaniker den Reifen wechselten und wippende Karosserieteile entfernten.

In der Folge holten Moss/Fitch alles aus dem Auto heraus, lagen schließlich wieder auf dem zweiten Platz, den D-Type von Hawthorn/Titterington aber hätten sie nicht mehr einholen können – da blieb dieser drei Runden vor Fallen der Zielflagge mit Motorschaden stehen. Mercedes feierte sogar einen dreifachen Triumph, Moss/Fitch siegten vor Fangio/Kling und von Trips/Simon/ Kling. Die Freude allerdings konnte sich nur in sehr engen Grenzen halten, drei Rennfahrer waren tödlich verunglückt, allein als der Regen eingesetzt hatte, war es zu neun Unfällen gekommen. In den nächsten beiden Jahren wurde dieses Rennen nicht ausgetragen, ab 1958 wechselte der Veranstalter damit nach Goodwood, auf eine permanente Rennstrecke in vergleichsweise relativ offenem flachen Gelände.

„Obwohl wir unterwegs eigentlich alles getan hatten, den Wagen zu schlachten“

Intern war im Hause Daimler-Benz längst die Entscheidung gefallen, sich zum Saisonende 1955 aus dem Motorsport zurückzuziehen. Aber beim jetzigen Zwischenstand in der Tabelle – Ferrari 19, Jaguar und Mercedes 16 – ging es auch noch um den Titelgewinn in der Sportwagen-Weltmeisterschaft. Eine Vorentscheidung fiel dadurch, dass Jaguar werksseitig zum letzten Lauf, der Targa Florio am 16. Oktober in Sizilien, nicht mehr meldete. Das konzentrierte dann dort die Titelentscheidung auf ein Duell zwischen Ferrari und Mercedes-Benz. Die Stuttgarter brachten noch einmal drei 300 SLR mit Stirling Moss/Peter Collins, Juan Manuel Fangio/Karl Kling und John Fitch/Desmond Titterington an den Start. Wie Titterington von Jaguar hatte auch Collins von Aston Martin, ebenfalls in Sizilien nicht werksseitig engagiert, eine Freigabe für den Mercedes-Start erhalten.

In einem sehr spannenden Rennen über 13 Runden auf dem 72 Kilometer-Kurs – wieder „gegen die Uhr“ mit Einzelstarts der Rennwagen – setzte zunächst Eugenio Castellotti im Ferrari 860 Monza die Mercedes stark unter Druck, lag anfangs zwischen Moss und Fangio auf Platz zwei und ging Ende der vierten Runde in Führung. Da hatte ein Unfall Moss auf den vierten Platz zurückgeworfen. Collins übernahm und setzte seinerseits in einem ansonsten intakten Auto mit etlichen Karosserie-Blessuren die Jagd fort. Fangio überholte den Ferrari und übergab an Kling. Auch Collins touchierte eine Mauer, verlor ein Vorderrad, konnte den Wagen aber in den Boxen wieder auf Vordermann bringen lassen. In der Schlussphase holte Moss alles aus dem geschundenen Auto heraus und gewann mit Peter Collins sogar noch vor Fangio/Kling und dem Ferrari von Eugenio Castellotti/Robert Manzon, „obwohl Stirling und ich“, so Peter Collins später, „unterwegs eigentlich alles getan hatten, den Wagen zu schlachten.“

So gewann letztlich Mercedes-Benz mit zwei Punkten Vorsprung die Sportwagen-Weltmeisterschaft vor Ferrari, nur vier Einsätze mit dem 300 SLR hier hatten gereicht. Am Jahresende wurden dann nach dem Gewinn von zwei Formel 1-Weltmeistertiteln durch Juan Manuel Fangio 1954/55 und dem Triumph auf den Lang-strecken symbolisch die Decken über die Autos ausgebreitet. Für einige Jahre verabschiedete sich Mercedes-Benz aus dem werksseitigen Motorsport.