DIE GROSSE KAMEI-STORY

Autor: am Curbs Magazine » Stories » DIE GROSSE KAMEI-STORY

Als aus Karl Meier Kamei wurde

Vom Tatzelwurm bis zur Formel Vau, vom Renn-Golf bis zum Einsatz von Keke Rosberg: Der Motorsport hat jahrelang Kamei begleitet. Und die Serie verdankt Kamei den ersten Spoiler – montiert an einem “Käfer“.

„Den Bastlern da draußen vor der Tür unseres Werkes werden wir das Handwerk legen“, verfügte am 1. August 1948 Heinrich Nordhoff, seit Januar jenes Jahres von britischen Gnaden zum Generaldirektor der Volkswagen GmbH bestallt. Bei den zu „Bastlern“ degradierten Herren handelte es sich um ehemals verdiente Volkswagen-Mitarbeiter von der ersten Stunde an: Karl Meier und Heinrich Schwen, die in einer alten kleinen Halle unweit des Werkstores auf gekaufte VW-Fahrgestelle mit Motor diverse Karosserien, vom zurecht gedengelten Unfall-Käfer bis zum Mini-Laster und zum zweisitzigen Coupé, setzten. Beim Bau des „Käfers“ mit aufgesetzter Ladefläche, direkt hinter den Vordersitzen, reifte in Meiers genialem Hirn, die Idee, die Standart-Version  mit einer Ladeklappe in der Heckklappe zu versehen, um Koffer von außen in die Ablage hinter der rückwärtigen Sitzbank bugsieren zu können. Es blieb bei entsprechenden Skizzen und Konstruktions-Zeichnungen.  Für das in nur zwei Exemplaren gebaute Coupé entwickelte Interieur-Experte Meier „Körperform-Sitze“, Vorläufer heutiger Schalensitze, und mit dem „Tatzelwurm“ war sogar ein Monoposto entstanden, der als das Urgestein eines Formel Vau betrachtet werden darf. Meier, nur mit kleinem finanziellen Eigenanteil in dem Betrieb involviert, und Schwen hatten eine klare  Kompetenz-Regelung vereinbart, wer für was je nach Bedarf zuständig war. Immer unter dem Damoklesschwert, mit primitivsten Mitteln etwas Praktisches – möglichst auch Schönes – auf die Räder zu stellen!

Gigax, Kadett und KdF 

Meier, gebürtiger Saarländer, hatte das Kfz-Handwerk von der Pike auf erlernt und sich zunächst auf den Karosseriebau spezialisiert. Seine „Wanderjahre“ in der Schweiz führten ihn zur Firma Gigax, die sich durch den Umbau von großen Horch-, Minerva- und Maybach-Limousinen in Cabriolets einen Namen gemacht hatte. Vertraut mit allen Feinheiten zum Thema Faltverdeck nach fünf Jahren bei Gigax, verlagerte Meier sein Interesse zunehmend auf Inneneinrichtungen und Dinge, die der Bequemlichkeit eines alltäglichen Fahrzeuglenkers dienen sollten. 1936 landete er in Rüsselsheim bei Opel, wirkte entscheidend bei der Innenausstattung des allerersten Kadett mit und befreite diesen vom letzten Stück Holz. Als Auserwählter der Gesellschaft zur Vorbereitung des deutschen Volkswagens (GZUVOR), geleitet von Ferdinand Porsche, wurde er mit der Einstellungsnummer 12 am 13. Februar 1939 als Konstrukteur für die Innenausstattung eingestellt. Neben Meier und einer Reihe von Opel-Technikern gehörten auch deutsche Auswanderer, die bei Ford/Detroit im Sold standen, dazu. Porsche hatte sie „heim ins Reich“ geholt. Meier wurde ein monatliches Gehalt von 430 Reichs-Mark offeriert. Das Privileg, als erster Einwohner in der speziellen Siedlung für Volkswagen-Führungskräfte und -Techniker am Steimkerberg der KdF-Stadt einziehen zu dürfen, war jedoch rein zufällig. Die Arbeit im Team des technischen Direktors des Werkes, Josef Kales, inspirierte ihn zu vielen Verbesserungs-Vorschlägen und insgesamt 30 Gebrauchsmustern, von denen im Laufe der Jahre 18 zum Patent erhoben wurden. So erwarb sich Meier Meriten, die bis zum Februar 1945 pekuniär entsprechend gewürdigt wurden. 

Meier und die Kölner Frohnatur Schwen, beide an der Entwicklung des legendären Schwimmwagens Typ 166 beteiligt gewesen, unternahmen 1945 – kurz nach Kriegsende – zusammen mit einigen Männern eine Testfahrt-Reihe in Schleswig-Holstein, als sie von den Engländern geschnappt wurden. Die Soldaten seiner Majestät konfiszierten die für sie äußerst interessanten Fahrzeuge und ließen deren Insassen laufen – zu Fuß zurück in die mittlerweile in Wolfsburg umbenannte KdF-Stadt. Da in der englischen Besatzungszone Fahrzeuge rar waren, ließ der kommissarische Volkswagen-Chef Major Ivan Hirst die noch brauchbaren Bänder weiterlaufen. Die Aussicht, fortan am Band arbeiten zu müssen und für einen gelegentlichen Geistesblitz nicht mit Geld sondern einer Schachtel Zigaretten entlohnt zu werden, hatte weder Schwen noch Meier – ein von Ideen sprühendes Gespann – geschmeckt. Ihre daraus resultierende Selbständigkeit, firmiert unter Heinrich Schwen & Sohn, war Hirst-Nachfolger Nordhoff ein Dorn im Auge. Der Karneval – von Schwen nach Kölner Sitte mit einem großen Umzug durch Wolfsburg zelebriert – kam dem neuen Volkswagen-Chef zuvor. Wolfsburg, randvoll mit Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die noch nie etwas von „Alaaf“ gehört hatten, begegnete dieser von Schwen allein finanzierten „ Zugnummer“, mit völligem Unverständnis. Daran ging der „Kölsche Jung“ Pleite und verschwand von der Bildfläche. 

Mit „Pfeffer und Salz“ in die Kirche

Anders Karl Meier, der sich in einer unscheinbaren Holzbaracke aus dem Schwen-Nachlass eingenistet hatte! In dieser „Werkstatt“, deren Erstausstattung aus einer Nähmaschine, einigen Volkswagen-Sitzgarnituren, Kleinteilen und vielen krummen Nägeln bestand, begann er kurz vor der Währungsreform mit einem Startkapital von 50 RM. Bald vergrößerte eine ausgebrannte Halle den Betrieb, in dem Meier zunächst sämtliche Funktionen vom Firmenchef bis zum Polsterer in Personalunion vereinigte. Schon früh integrierte er seine Söhne Klaus und Uwe, indem diese nach Schulschluss und  den Hausaufgaben gebrauchte Sitzgestelle streichen mussten. Aus Resten des Volkswagen-Stoffmusters „Pfeffer und Salz“ schneiderte Meier die Schulbekleidung, zugleich auch für den Kirchgang der Jungen vorgesehen. „Als nur noch eine Hose da war“, frohlockte damals Uwe, „ brauchte immer nur einer von uns in die Kirche gehen.“ Da aufgepäppelte Sitze bei den Volkswagen-Kunden begehrt waren, kam Meier auf die Idee, Schonbezüge zu nähen, die das graue Einerlei verschönerten. Treffer: In relativ kurzer Zeit konnten Sitze von 15 Volkswagen pro Tag bezogen werden!

Von der Schlummerrolle zur Nackenstütze

Was ein Meier kann, brachte Volkswagen nebenan kurz darauf serienmäßig! Ergo tüftelte Karl Meier an einer Vielzahl von sinnvollem Autozubehör fröhlich weiter, vergrößerte seinen  Betrieb und nannte diesen ab 1952 KAMEI (KArl MEIer). In einer ehemaligen Fensterrahmen-Fabrik, von seinen Söhnen respektlos „Wurschtelladen“ genannt, entstanden bis 1978 ganz erstaunliche Produkte, die nicht nur Tuning-Geschichte schrieben, sondern sogar die automobile Welt eroberten. Seine „Schlummerrolle“, auch als Armlehne verwendbar, stieß zunächst auf kritische Bemerkungen wie: „Die fördert die Müdigkeit beim Autofahren!“ Meiers Konter: „Ein Autofahrer muss es bequem und komfortabel haben, umso entspannter kann er sich auf den Verkehr konzentrieren. Außerdem schützt die Rolle das Genick bei einem Unfall.“ Just diese Idee penetrierte er derart, dass daraus die erste Sicherheitskopfstütze der Welt entstand, im September 1969 in der TU Berlin von Professor Dr. techn. Ernst Fiala geprüft und für gut befunden. So heißt es in dem dazu gehörigen Forschungsbericht 93 unter anderem: „ Die Belastungen im Kopf und in der Halswirbelsäule werden deutlich herab gesetzt, und Schleuderbewegungen des Kopfes werden weitgehend verhindert.“

Eine unpraktische Rolle – für den Gasfuß

Dass man je nach Schuhsohlen-Beschaffenheit gelegentlich beim Gasgeben in den frühen „Käfern“ völlig von der Rolle war, ärgerte Karl Meier derart, dass er für diese unpraktische Gerätschaft im Fußraum einen Pedal-Aufsatz konstruierte, richtungsweisend für Volkswagen. Nach einem Jahr verschwand die Gas-Rolle und wurde durch ein Gaspedal ersetzt. Rechts daneben befand sich ein mit dem Fuß umzulegender Reserve-Benzinhahn. Für Meier ein Ärgernis: „ unsinnige Fummelei im Beinraum und gefährlich obendrein!“ Er baute eine Benzinhahn-Verlängerung zur manuellen Betätigung. Seine Positionierung harmonierte mit der von ihm aus Sicherheitsgründen flexibel gestalteten Ablage unter dem Armaturenbrett. Mit Ablagen aller Art, einer Huthalterung, einer patentierten Kofferraumabdeckung, Stützen für sämtliche Gliedmaßen, verstellbaren Sitzen – auch diese Funktion ein Meier-Patent – sorgte er bei der Innenausstattung des „Käfers“ ständig für neue praktische Nuancen. Da durfte der Blumenschmuck in einer Vase am Armaturenbrett nicht fehlen. Fußmatten für alle Fahrzeugbereiche, eine Stütze für den Kupplungsfuß und sogar Liegesitze bot Kamei an. Gegen Wetterunbilden – wer besaß damals schon eine Garage – empfahl Meier eine von ihm gestaltete Schutzhaube für die obere „Käfer“-Hälfte. Viel oder sperriges Gepäck verbannte der Pragmatiker auf das Wagendach. Dafür hatte er eigens einen Gepäckträger mit Abdeckplanen vorgesehen.

„Tiefensteuer“: Premiere des Ur-Spoilers in Genf 

In den letzten Kriegstagen bei Volkswagen war Karl Meier auch mit dem Flugzeugbau in Berührung gekommen, denn im Auftrag von Junkers musste das Werk Tragflächen bauen. Der hierbei, wenn auch nur peripher, involvierte Meier musste sich Aerodynamik-Grundkenntnisse aneignen. Diese brachten ihn angesichts der Hecklastigkeit und dem damit verbundenen unruhigen Fahrverhalten seines Volkswagens bei Geschwindigkeiten jenseits von 100 km/h auf eine Idee. Mit umgekehrtem Tragflächenprofil an der Vorderachse Abtrieb zu erzeugen, war die Aufgabe eines von ihm gebauten „Tiefensteuers“ mit einer über Spanten gezogenen Alu-Haut. Um diesen Ur-Spoiler und seine diversen Auto-Extras im „Käfer“ ins richtige Licht zu rücken, fuhr Meier mit seinem „Exponat“ zum Genfer Salon 1953. Da ihm die Salon-Portale mangels der fürs Entree nötigen „ Fränkli“ verschlossen blieben, deklarierte er einfach ein paar Quadratmeter Straßenrand vor den Toren zum Freigelände. Die Portiers schüttelten nur den Kopf: „Da ist so ein verrückter Allemand, der aus einem Auto ein Avion machen will!“ Unverständnis auch bei Publikum und Presse!  Das „Tiefensteuer“ tauchte daraufhin in Meiers Klamottenkisten ab. Zurück zum Ursprung: 25 Jahre später gehörte Kamei zu den weltweit bedeutendsten Herstellern von Spoilern, allesamt im Windkanal getestet und mit aerodynamischen Benefits versehen. 

Nach der verfehlten Wirkung seiner Öffentlichkeitsarbeit in Genf  ließ sich Meier etwas einfallen, was heute „neudeutsch“ mit Direkt-Mailing bezeichnet wird. Um seine Produkte auf ihre Resonanz beim „Fachpublikum“ zu testen, schickte er seine Söhne mit Handzetteln auf die Parkplätze der VW-Werksangehörigen. Diese Scheibenwischer-Botschaften verfehlten die erwünschte Wirkung nicht. Der somit gesteigerten Nachfrage konnte ja vor Ort Abhilfe geschafft werden – mit einem Verkaufsladen in Wolfsburg. Diesem folgte 1966 in bester City-Lage ein großes Berliner Geschäft für Auto-Komfort-Produkte aus eigener Produktion und weitere Accessoires rund um`s Automobil. Apropos Komfort: Die Lenkräder der fünfziger und sechziger Jahre – nicht gerade griffig – fühlten sich im Winter nackt und kalt und in der Sommersonne ziemlich heiß an. Meier fühlte mit, und sann hinter`m Volant auf Abhilfe.

„Avus“ – der Lenkradhüllen-Welterfolg

Karl Meier entwickelte einen plastisch in der Hand liegenden Lenkradschoner aus atmungsaktiven Schaumkunstleder in sechs Farbvarianten. Daraus entstand die Porotherm-Lenkrad-Hülle „Avus“, die ihren Siegeszug um die Welt antrat und in den USA, Japan und auf den Philippinen als „Sportgrip ebenso in Lizenz gefertigt wurde wie in einem eigens dafür gebauten Werk in Puerto Rico. Ein „Dauerbrenner“, den man in den Nobelkutschen arabischer Scheichs ebenso fand wie in New Yorker Taxis. Die Lenkradhülle zierte die Plattenhülle von Donna Summers „bad girls“, begeisterte Rock ´n Roll-Größen und Filmstars seinerzeit ebenso wie Rennfahrer, und wurde von vielen Alltags-Automobilisten derart geschätzt, dass die Gesamt-Produktionsstückzahlen die 100-Millionengrenze überschritten. Dieser neue Lenkrad-Komfort mit unzähligen Poren und 972 Löchern war selbst dem „Manila Bulletin“ eine zweispaltige Kolumne wert. In Deutschland verlegte Kamei die „Avus“-Produktion in das 1971 eingeweihte Werk in Wittlich an der Mosel. Später erlebte sie noch eine Renaissance als schwarze, lederbeschichtete Lenkradhülle „Route 66“ und 1990 mit sechs poppigen Farbnuancen als „ Go Hollywood“ für den US-Markt.

„Spoileritis“ und Expansion

1974 überraschte Kamei mit einem ABS-Kunststoff-Derivat aus dem Motorsport: einem Frontspoiler für den Ascona A. Obwohl die 180 Kamei-Mitarbeiter – 130 in Wolfsburg, 50 in Wittlich für die Fertigung von Lenkradhüllen, Schalensitzen und Nackenstützen – vornehmlich VW-Konzern-Spezifisches herstellten, dehnte sich die Tiefzieh-Produktion auch auf andere Marken aus. 1976 siedelte die zentrale Verwaltung des expandierenden Unternehmens – verkehrsgünstig gelegen – nach Wiesbaden um. Dabei spielte die Nähe des Frankfurter Flughafens ein wichtige Rolle als Tor zur einer Welt, in der Kamei 40 Länder bediente und für die speziellen Bedürfnisse des nordamerikanischen Marktes in North Haven, Connecticut, eine Produktionsstätte errichtet hatte. Auch jenseits des „großen Teiches“ war die „Spoileritis“ ausgebrochen, doch die Amis schätzten neben Spoilern auch die Lenkradhülle und den Kamei-Dosenboy zur Getränkeversorgung unterwegs. Wild West: Im Büro von  Kamei-USA-Chef Jo Mongillo hing direkt neben dem Schreibtisch ein Gewehr. Hire and fire: Als Jos Bruder in der Firma Mist gebaut hatte, deswegen die fristlose Kündigung vernahm und sich nicht sofort trollte, scheuchte ihn Jo mit dem Gewehr in der Hand vom Firmengelände. Gut eine Dekade später wurde die US-Fertigung wieder eingestellt, weil schnellere Wagen wie der Camaro serienmäßig mit aerodynamischen „goodies“ beglückt wurden. 

Genf: ab 1982 im noblen Salon

Ende der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts hatte Kamei sein Front- und Heckspoiler-Programm auf viele Marken ausgedehnt. Dank des neuen Kamei-Werkes im Gewerbegebiet von Wolfsburg-Vorsfelde, ausgestattet mit modernsten, größtenteils Computer-gesteuerten Fertigungsanlagen, wurde dem gestiegenen Auftragsvolumen Rechnung getragen. Eingehende Windkanal-Tests – teilweise sogar bei Daimler-Benz – prägten die Entwicklung neuer Exterieur-Produkte aus beständigen Durokam-Material – einer ABS-Eigenentwicklung, die nicht einmal ein  Karate-Weltmeister zerschlagen konnte. Hatte man bislang den Motorsport nur als Werbeträger benutzt, so wurden 1981 auch Renn-Tourenwagen aerodynamisch optimiert. Beispiel: Bei den von Kamei unterstützten Audi-Coupés diverser Tuner konnte der Luftwiderstands-Beiwert um gut sieben Prozent gesenkt und der Auftrieb an der Vorderachse um 38 Prozent verringert werden. Diese Erfahrungen, die – wenn auch nur marginal – in einem geringeren Treibstoffverbrauch resultierten, flossen in die Kamei-Produktion ein, beginnend mit den sogenannten „X1“-Bausätzen für die VW-Modelle Scirocco, Golf und Polo, gefolgt vom Audi Coupé, dem 3er BMW, dem Ford Escort und dem Opel Kadett. Dazu gesellte sich ein Kadett GT-Sondermodell und ein Audi 80 im Kamei-Design. Mit derartigen Exponaten, allesamt mit Perleffekt-Lackierung und Leder-Interieur, glänzte Kamei nicht nur auf der IAA sondern ab 1982 auch in Genf – diesmal im noblen Salon, mit Nachbarn wie Rolls Royce und Bentley. Für Senior Karl Meier, der im ersten X1-Jahr seinen 75. Geburtstag gefeiert hatte, eine späte Bestätigung seines Lebensinhaltes: Alles rund um`s Automobil – Hauptsache praktisch. 

Keke, Kern und Kamei

Die Formel-Super-Vau-Gilde um Hans-Peter Rosorius staunte nicht schlecht, als 1974 ein neu formiertes Team mit einem Doppeldecker-Bus in den Fahrerlagern auftauchte. Er diente dem Rennstall von Uwe`s Moden und seinen Sponsoren, Boss, dem Kaiserslauterner Hemden-Couturier Otto Kern und Kamei, als mobiles Hauptquartier.  Die Kaiman 1600 des Teams machten auch auf den Pisten Furore, besonders Keijo „Keke“ Rosberg. Der „fliegende Finne“, so nach einem luftigen Salto in Hockenheim tituliert, fuhr die Konkurrenz in Grund und Boden und gewann vor seinem Landsmann Mikko Kozarowitzky die ONS-Meisterschaft. Aber auch sein blaublütiger Team-Kamerad Leopold „Poldi“ Prinz von Bayern kam im Bergmann-Monoposto gut zurecht und belegte den sieben Platz in einem hart umkämpften Championat. „Poldi“ hielt Kamei eine Dekade lang die Treue, und in „Kekes“ Weltmeister-Jahr prangten beim GP von Deutschland auf Helm und Overall ebenfalls die „beschwingten“ Kamei-Schriftzüge. In jenem Jahr umfassten die Kamei-Motorsport-Aktivitäten weltweit nicht weniger als 126 Rennfahrzeuge: So auch den gesamten Bilstein-Bosch-Rabbit-Cup in den USA (alle Golf mit Kamei-Spoilern und Fahrern wie Michael Andretti oder dem Filmstar Kent McCord). Der Schweizer Golf-Cup verfuhr analog.  Persönliches Sponsoring und etwas Hilfestellung auf dem Weg in die Formel 1 erfuhr auch Stefan Bellof. Später dehnte sich das Motorport-Engagement noch auf Ford-Ladies wie Anette Meeuvissen, Beate Nodes, Claudia Ostlender oder Vera Nillies aus. Während Kamei in der nationalen Tourenwagen-Szene nicht mehr wegzudenken war, donnerten mehrere tschechische Ladas und Skodas im Kamei-Look über die Ostblock-Pisten, wie auch das Racing Team Prag in der Tourenwagen-EM. Kein Wunder, denn Kamei-Mitarbeiter in der Wiesbadener Zentrale und gelegentlich auch Rennfahrer Mira Lochman (heute Milotec-Inhaber) stammt aus böhmischen Landen.

Renn-Capriolen, Fire, Ice & Dynamite

Unverwechselbar wie Ende der 70er-Jahre der Kamei-Renn-Golf waren 1982 und 83 die von Kamei und Gilden Kölsch gesponserten Eichberg-Capri. Für diverse „Capriolen“ sorgten nicht nur die Stammfahrer Dieter Gartmann und Helmut Döring, sondern auch Gast-Piloten wie Klaus Ludwig, Klaus Niedzwiedz, Harald Grohs, Rallye-Weltmeister Ari Vatanen, Manfred Winkelhock und der spätere Mercedes-Sportchef Norbert Haug. Grund für das umfangreiche Motorsport-Programm von Kamei: Kaum eine andere Sportart ist als Medium für die Werbe-Botschaften eines Automobil-Zubehör-Herstellers geeigneter als der Motorsport, mit dem Begriffe wie Dynamik, Technik, Sportlichkeit, Präzision und Zuverlässigkeit assoziiert werden. Nichts mit Motorsport zu tun hatte allerdings das „Kamei-Rallye-Team“ mit Walter Röhrl als Chef. Dieses trat mit spektakulären Stunt-Szenen in Willy Bogners Film „ Fire, Ice & Dynamite“ auf. Weniger spektakulär war dann eine auf 150 Fahrzeuge limitierte VW-Golf-Edition  mit einem „Dynamite-by-Kamei“-Paket.

Tag „X“ für die X1-Bausätze von Kamei

Es kam wie es kommen musste: Serienmäßige aerodynamische Optimierung von Fahrzeugen, völlig unabhängig von der Provenienz, erübrigte das Nachrüsten von Spoilern. Ergo mussten neue Wege beschritten werden, notfalls mit kompletten Fahrzeugen. Kamei, nur noch auf den Produktionsstandort Wolfsburg fokussiert, hatte schon einige Varianten von rollenden Büros auf VW-Bus-Basis kreiert, die das Werk zum späteren Nachbau animierten. Ein entsprechender Umrüstungsauftrag an Kamei blieb jedoch aus. Nach einem überbreiten Golf-Speedster, der vor der Übergabe an Keke Rosberg in Hockenheim wegen eines Elektrik-Defektes abbrannte, entstand ein Golf-II-Cabrio-Prototyp, der auf dem Genfer Salon 1984 eine vielbeachtete Premiere feierte. Doch dieser schicke Umbau wäre für eine Serienfertigung – so die VW-Techniker – zu teuer ausgefallen. 1986 unternahm Kamei einen Anlauf bei Opel mit einem Multicar auf Kadett-E-Caravan-Basis. Erneut in Genf vorgestellt, verwandelten zwei adrette Damen dieses Fahrzeug binnen Minuten vom Hardtop-Combi in einen Pick-up, dann in einen Lieferwagen und beschlossen die Aktion mit einem Cabrio-Verdeck. Großer Termin von Opel-Entscheidungsträgern in Wiesbadens Kamei-Zentrale: Nach anfänglicher Euphorie wurde eine Serienfertigung dieses avantgardistischen Projektes vom Opel-Marketing gekippt. 

Bierkutsche passiert bayerischen Zoll

Auf dem Rückweg des allseits bewunderten Multicar (als Pickup mit einer Abdeckplane) von einem Rennen in Brünn zur Unterstützung eines dortigen Kamei-Renneinsatzes, wurden die beiden Insassen von den bayerischen Grenzern gefragt: „Was habst Ihr denn in diesem tollen Auto versteckt? Wahrheitsgemäße Antwort: „Bier!“ Die ganze Ladefläche war voll mit billig eingekauftem Urquell, direkt von der Quelle in Pilsen. „So a Schmarrn“, lachten die Zöllner. „ Wer nach Bayern kimmt und a Bier verzollen will, muss a Depp sein. Schleicht`s Euch!“ Eine etwas ungewöhnliche Würdigung des Multicars. Überhaupt keine Würdigung fanden weitere Multicar-Projekte. Nach langem Hin-und-Her wurde eine durchaus interessante Variante für Seat fallen gelassen. Vielversprechend schien 1989 die deutsch-japanische Gemeinschafts-Produktion VW Taro auf Basis des Toyota Hilux. Der zunächst im VW-Nutzfahrzeuge-Werk Hannover gebaute Taro wurde noch vor seiner eigentlichen  Präsentation von VW in einer Kamei-Version gezeigt. Diese gefiel allenthalben, wurde aber wegen zu hoher Werkzeugkosten verworfen. 

Umsatzträger auf höchster Ebene

Mit der Aufnahme von Dachboxen – 1988 debütierte die Kamei-Traveller-Box – ins Produktionsprogramm wurden die Weichen für die Zukunft gestellt, zumal mit Mercedes (2004) und VW (2009) Erstausrüster-Aufträge folgten. Mit einer Kamei-Box auf dem Dach seines Renn-Porsches fuhr der Eidgenosse Bruno Eichmann auf dem Hockenheimring in die Startaufstellung – ziemlich weit vorn! Raunen auf der Haupttribüne, als die Mechaniker kurz vor dem Start die Box abnahmen: ihre Werkzeug-Kiste! Ein guter PR-Gag wie auch das Auftauchen des schwedischen Königs in einer Kamei-Jacke vor einem Grand-Prix-Start im Motodrom! Sie gehörte dem Schreiber dieser Zeilen, der zuvor mit Poldi von Bayern und Carl XVI. Gustaf im Kamei-Wohnmobil Würstchen mit Kartoffelsalat verdrückt hatte. 

Dass letzte Versuche mit originell umgebauten Fahrzeugen wie dem Beetster II, der 2001 Blickfang des Kamei-Standes in Essen war, versickerten, liegt an der jetzigen Firmenstruktur als reiner Produktions-Betrieb. Das „feuerrote Spielmobil“ Beetster II, ein Roadster mit seitlichen Bügeln für die Persenning-Führung, gehörte in einen Tuning-Sektor, den Kamei nicht mehr belegt. Heute liefert Kamei Karosserieteile aus Kunststoff für Volkswagen und Mercedes und hat sich auf höchster Ebene angesiedelt – mit patenten Dachträger-Systemen für praktische und auch sehr voluminöse Boxen, wie der „Oyster 450“.

Autor: Jochen von Osterroth

Bilder: Jochen von Osterroth / Archiv: KAMEI