Ich folge einer Einladung von Fredy Lienhard nach Hockenheim, um dort sei-nen Lola B05/40 zu fahren, mit dem er von 2005 bis 2007 in der European Le Mans Serie, bei den 12 Stunden von Sebring und der American Le Mans Serie am Start war. Ich fahre in das Hockenheimer Fahrerlager, leider ist der Himmel Wolken verhangen, und es fängt an zu tröpfeln. Bei Rennen fahre ich ja gern im Regen, aber bei einem Trackday würde ich gern bessere Bedingungen haben. Aber man kann es sich nicht immer aussuchen… Fredy Lienhard möchte, dass ich für ihn einen „Roll Out“ fahre, also einen Funktionstest mache, ob alles seine Richtigkeit hat. Ich steige über den Seitenkasten in das Cockpit und lasse mich in den Sitz gleiten. Für einen modernen Sportwagen finde ich eine ungewöhnliche Sitzposition vor. Bei den modernen Sportprototypen hat man eigentlich die Füße recht hoch, da die Front, Formel -ähnlich, eine hohe „Nase“ hat um die Luft unter das Auto zu leiten. Hier muss ich gleich an die Sitzposition der Formel 1-Autos der 70er-Jahre denken. Jim Clark hätte sich hier gleich „zu Hau-se“ gefühlt. Man liegt also mehr. Für mich ungewohnt in einem LMP-Auto. Das ist der Aerodynamik geschuldet. Das ganze Monocoque ist sehr flach gehalten, um einen guten Cw-Wert zu erzielen und das führt zur recht liegenden Sitzposition.
Aggressive Töne schon im Stand
Von Benny Hotz bekomme ich kurz das Cockpit erklärt und dann heißt es, „Start your Engine“. Der Judd V8 fängt schon im Stand an, seine aggressiven Töne von sich zu geben. Dann heißt es, „ersten Gang einlegen“ indem ich an der Lenkradwippe ziehe, und ich darf aus der Box fahren. Die erste Hürde, anfahren ohne den Motor abzuwürgen, meistern wir mit Bravour. Beim 3,4 Liter Motor liegt genug Drehmoment an. Dann geht’s auf die noch nasse Strecke, leichte Tropfen treffen das Helmvisier. Ich steigere langsam die Gangart und finde im nassen ein recht gutmütiges Auto vor. Als ich dem Limit nahe komme, habe ich nur ab und an ein nervöses Heck beim Ein-lenken. Im Kurvenverlauf ist das Fahr-verhalten eher leicht untersteuernd, er schiebt also leicht über die Vorderachse und ist damit gut zu handhaben. Nach ein paar Runden gehe ich wieder an die Box, Mission „Roll Out“ erfüllt, es funktioniert alles tadellos. Auch nach fast 20 Jahren funktioniert – auch aufgrund der Betreuung bei „Horag Racing“ – alles tipptopp. „Horag Racing“ aus der Schweiz hat das Auto schon in den Jahren 2005 bis 2007 bei den Rennen bestens betreut.
Auf Betriebs-Temperatur gekommen
So langsam verziehen sich die Wolken, und die Sonnenstrahlen haben die Strecke abgetrocknet. Zeit für mich, die Gelegenheit zu nutzen für einen „Run“ im Trockenen. Ich beschleunige aus der Box zu Turn 2. Schon nach wenigen Metern habe ich einigermaßen Grip mit den kalten Reifen. Anfangs kommt der Begrenzer für die Drehzahl recht früh. Das ist ein Sicherheits-„Feature“, damit der noch nicht auf Betriebstemperatur gekommene Motor keine Schäden erleidet. Ich fahre die erste Runde nicht so am Limit und bringe die Reifen auf Temperatur. In der „Parabolika“ fahre ich das Auto „gegen die Bremse“, um die Koh-lefaser-Bremse auf Temperatur zu bringen und über die Felge zusätzlich Temperatur in die Reifen zu bringen. Im Motodrom fühlt sich bereits alles gut an, und ich laufe schon auf die nicht gerade langsame GT3-Fraktion auf und überhole sie. Und dann geht’s los. Mit Halbgas geht es im 3. Gang durch die letzte Kurve. Noch bevor ich am Kurvenausgang angekommen bin, heißt es Vollgas und kurz danach wird schon in den 4. Gang geschaltet. Vor Start/Ziel habe ich schon den Fünften drin und beschleunige bis zum Bremspunkt von Turn 1. Der liegt, bloß nichts kaputt machen, kurz vor dem 100 Meter Schild. Dann runterschalten beim Bremsen in den vierten Gang, einlenken und noch vor dem inneren Curb wie-der ans Gas. Vollgas Richtung Turn 2, die Augen sind kurz auf das Lenkrad gerichtet, um die Daten zu checken. Dann warte ich auf die Schaltlampen auf dem Lenkrad, die mir signalisieren, wir haben fast ausgedreht, es wird Zeit für den nächsten Gang, schalten in den Fünften Gang und Vollgas bis zirka 120 Meter. Dann voll auf die Bremse, das Auto ist stabil, dabei runter-schalten bis runter in den zweiten Gang und einlenken. Das Auto wird nach dem Einlenken erst etwas leicht am Heck, und dann geht es leicht über die Vorderachse, untersteuert also ein wenig. Ich muss warten, bis ich das Auto zum richtigen Punkt gedreht habe und dann wieder Vollgas geben kann. Der folgende Linksknick geht voll. Nur am Ausgang wird es wieder etwas leicht am Heck, aber es geht mit Vollgas.Ich habe schon vor der Links den Dritten eingelegt und dann Vollgas weiter durch die Parabolika in Richtung Haarnadelkurve.
Der V8-Judd-Motor schreit
Der V8-Judd-Motor hinter mir schreit. Wenn ich an die 10.000 Umdrehungen komme, fangen im Lenkrad die Schaltlampen an, mich aufzufordern den nächsten Gang einzulegen. Ich komme bis in den sechsten Gang und drehe den auch fast aus, denn das erste Lämpchen leuchtet auch schon wieder. Der Sound macht Lust auf viele Runden. Dann wieder hart an-bremsen und dabei die Gänge runterschalten. Der Motor hilft mir beim Verzögern. Die Motronik gibt beim Runterschalten für jeden Gang automatisch Zwischengas. Technik sei Dank, kann man auf den Tanz auf den Pedalen verzichten und sich auf das Bremsen konzentrieren. Ich, ein Mann der alten Schule, bremse noch mit dem rechten Fuß. Normal bremst man so ein Auto schon mit dem linken Fuß. Ich habe aber zu Audi-Zeiten auch auf das Links-bremsen verzichtet und hatte dadurch immer einen Benzin-Verbrauchsvorteil. Als die Geschwindigkeit passt, lenke ich in die Haarnadel ein und gehe wieder leicht ans Gas, um den Speed dann mitzunehmen. Doch ich muss ein- zweimal vom Gas, da das Auto etwas untersteuert. Bleibe ich einfach am Gas, komme ich wahrscheinlich über den Curb hinaus. Also „telegrafiere“ ich mit dem Gas ein wenig, um das Auto „umzusetzen“. Dann Lenkung öffnen und wieder richtig Vollgas. Im ersten Gang kommt ein leichtes Durchdrehen der Räder, die 540 PS wollen ungezügelt lospreschen.
Der Puls steigt
Also etwas dosieren und danach ab den zweiten Gang wieder richtig Vollgas, dritter Gang, vierter Gang,und jetzt steigt nicht nur die Drehzahl weiter sondern auch der Puls. Jetzt kommt der Vollgas-Rechts-Knick. Einlenken in die Rechts, fünfter Gang im Eingang, Vollgas und „flat“ durch. Sau-ber nach links außen laufen lassen, dann rechts rüber und anbremsen für die enge Links. Runter bis in den zweiten Gang, ein-lenken ans Gas und wieder leichtes Untersteuern. Erneutes „Telegrafieren“ am Gas als Gegenmaßnahme. Kurz vor dem Aus-gang Vollgas beschleunigen, dritter Gang, einlenken in die folgende Rechts mit halb Gas. Voll geht es nicht ganz, die Fliehkräfte sind aber enorm, das sind Kurven die Spaß machen und dem Auto liegen. Schon vor dem Kurvenausgang schalte ich in den Vierten. Dann volle Beschleunigung Richtung Eingang Motodrom, fünfter Gang, links nahe an die Mauer, bremsen zurück in den Vierten und einlenken. Kurz nach dem Einlenken sofort wieder ans Gas und durch die Rechtskurve Richtung Sachs-Kurve, die ich im zweiten Gang nehme. Am Ausgang dritter Gang und in das „S“ einlenken bei Vollgas. Noch mal kurz vierter Gang, an-bremsen für die letzten zwei Kurven und zurück in den dritten Gang. Mit Teillast durch die erste Rechts, kurzes Beschleunigen zur letzten Kurve, kurzes Gas wegnehmen, ans Gas und mit richtig viel Down Force durch die Kurve, dass es einem den Helm bald runterzieht. Yes, das ist Fahren mit einem Sportprototypen, das macht Spaß, und der Sound ist gigantisch. Jetzt muss ich leider an die Box, denn Fredy Lienhard steht schon parat, und möchte dieses Erlebnis genießen. Dafür holt er ab und an einmal solche Maschinen aus seinem Museum, der „autobau Erlebniswelt“ in Romanshorn.
Jetzt keinen spannenden Artikel über den historischen Motorsport mehr verpassen! Holen Sie sich das Curbs Abo ALLEN Bildern bequem nach Hause – direkt über unseren Online-Shop