AvD-Avus-Rennen und der große Preis von Berlin

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„1954 erlebte ich als Siebenjähriger mein erstes Formel-1-Rennen, das AvD-Avus-Rennen mit den legendären Mercedes-Silberpfeilen. Zusammen mit meinem Vater stand ich an diesem 19. September ausgangs der berühmten Avus-Nordkurve!“, so Thomas Jörg Födisch. Über das Rennen schrieb später auch RIAS-Mann Richard Kitschigin Er hatte die „PS-Apotheke“ und das „Motor-Journal“ gegründet, fuhr selbst Tourenwagen-Rennen und galt als Experte für Verkehrssicherheit. „Ich lernte Kitschigin in den 1970er-Jahren kennen“.


„Richard Kitschigin († 2015) unterstützte mich später bei einigen Veröffentlichungen mit seinem Bericht vom Formel-1-Rennen 1954 auf der Avus. Zu „meinem“ allerersten Formel-1-Rennen vor fast sieben Jahrzehnten waren rund 100.000 Zuschauer zur Avus gekommen. Stundenlang saßen und standen sie entlang der 8,4 Kilometer langen Rennstrecke und harrten bei herbstlich kühlem Wetter geduldig bis zum Ende dieses Renntages aus. Um es vorweg zu nehmen: Das Hauptrennen der Formel-1-Rennwagen um den `Großen Preis von Berlin´ enttäuschte! In seinem Buch „Die Avus“ schildert Axel Kirchner die Vorgeschichte zu dieser Veranstaltung.

Das AvD-Avus-Rennen erschien im Veranstaltungskalender

Kirchner schrieb: „Im Oktober 1953 veröffentlichte die ONS (Oberste Nationale Sportkommission für den Automobilsport in Deutschland) den vorläufigen Veranstaltungskalender 1954, der den 27. Mai als nächsten Termin für ein Avus-Rennen auswies. Demzufolge waren Läufe der Formeln 1 und 3 sowie der Sportwagen vorgesehen. Offenbar hatte der AvD (Automobilclub von Deutschland) aus Anlass des Wiedereinstiegs von Mercedes-Benz in den Grand-Prix-Sport vor, auf der Avus ein Einladungsrennen für Formel-1-Teams außerhalb der Weltmeisterschaft auszutragen. Auf ihrer letzten Herbst-Tagung hatte die FIA (Fédération Internationale de l’Automobile) das neue Formel-1-Reglement für Rennwagen bis 2,5 Liter Hubraum mit Wirkung ab 1954 endgültig verabschiedet. Auch war es inzwischen kein Geheimnis mehr, dass die Mercedes-Sportabteilung voller Tatendrang an einer Rückkehr in die 1. Liga des Motorsports arbeitete. Indes käme der 27. Mai zu früh, hieß es aus Stuttgart. Bis dahin sei der neue Mercedes-Rennwagen noch nicht einsatzbereit. Dem AvD blieb keine andere Wahl, als das Avus-Rennen in die zweite Jahreshälfte zu verschieben. Der Termin des Großen Preises von Berlin – flankiert von Endläufen zur Deutschen Renn- und Seriensportwagen-Meisterschaft – rückte deshalb auf den 19. September.“

AvD-Avus-Rennen Entschlossen, den Indy-Rekord brechen zu lassen: Alfred Neubauer
Entschlossen, den Indy-Rekord brechen zu lassen: Alfred Neubauer
Das Programmheft des Großen Preises von Berlin 1954 -AvD-Avus-Rennen
Das Programmheft des Großen Preises von Berlin 1954

Autor Kirchner zitiert schließlich aus einer AvD-Pressemitteilung vom August 1954: „Nach dem Großen Preis von Europa auf dem Nürburgring wird sich die Elite der Formel-1-Wagen am 19. September beim Internationalen AvD-Avus-Rennen und beim Großen Preis von Berlin noch ein zweites Mal in dieser Saison auf deutschem Boden zum Kampf stellen. Im Rennen der Formel-1-Wagen, das über 504 Kilometer (60 Runden) führt und auf Grund seiner hervorragenden Besetzung einem Weltmeisterschaftslauf gleichkommt, werden neben den von ausländischen Fabriken sowie von Daimler-Benz auf den neuen Silberpfeilen genannten Werkspiloten auch eine Reihe prominenter Privatfahrer am Start vertreten sein.“

In den bisherigen WM-Läufen der Saison 1954 hatte sich der neue Mercedes-Silberpfeil, der die Typenbezeichnung W 196 R trug, als Volltreffer erwiesen. Nach dem sensationellen Grand-Prix-Debüt am 4. Juli 1954 in Reims beim Großen Preis von Frankreich mit dem Mercedes-Doppelsieg durch Juan Manuel Fangio und Karl Kling gewann Fangio auch am Nürburgring, auf dem Bremgarten-Kurs bei Bern und in Monza. Der W 196 leistete etwa 260 PS, und besonders auf der Avus sollten keine Zweifel aufkommen, wer das Formel-1-Rennen als Sieger beenden würde. Zum Einsatz kam die Stromlinien-Ausführung, gesteuert von den Vertragsfahrern Juan Manuel Fangio, Karl Kling und Hans Herrmann. Den Status des Ersatzmannes bekam Altmeister Hermann Lang, der Avus-Sieger des Jahres 1937.

Es sollte das schnellste Rennen werden Mercedes-Benz-Rennleiter Alfred Neubauer hatte in seinem Notizbuch vermerkt, dass das 500-Meilen-Rennen von Indianapolis/USA am 31. Mai 1954 als bisher schnellstes Nachkriegsrennen der jüngeren Motorsportgeschichte mit 210,58 km/h Schnitt gefahren worden war. Der Sieger, Bill Vukovich (Kurtis Kraft) hatte diesen Bestwert erzielt. Neubauer glaubte, dass der Berliner GP beim AvD-Avus-Rennen noch schneller sein könnte. Wer wollte also nicht Sieger eines Rennens sein, in dem der weltweite Bestwert des „Indy 500“ noch überboten werden könnte? Außerdem reizten beachtliche Siegprämien: 10.000 Mark, 7500 Mark und 6000 Mark für die drei Erstplatzierten. Zum Saisonabschluss ein gutes Salär …

Vertraut: Fotograf Bernard Cahier und Juan Manuel Fangio beim AvD-Avus-Rennen
Vertraut: Fotograf Bernard Cahier und Juan Manuel Fangio
Hans Herrmann vor dem Start des AvD-Avus-Rennens
Hans Herrmann vor dem Start

Trotzdem fehlte die mit großen Pauken angekündigte Ferrari-Werksmannschaft, und auch das Fabrik-Aufgebot von Maserati erschien nicht in Berlin, obwohl es im Programm stand. Dadurch hatten die Silberpfeile W 196 von Mercedes-Benz keine ebenbürtigen Gegner. Sie fuhren nach Gefallen ihre Runden und machten die ersten Plätze in einer Art Privatfehde unter sich aus. Es blieb sich völlig gleich, ob nun Kling, Weltmeister Fangio oder Herrmann den Sieg davontrug. Alle drei fuhren den schnellen Achtzylinder-Rennwagen des Untertürkheimer Werks, der mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks ohne Boxenhalt und ohne Reifenwechsel die rund 500 Kilometer lange Gesamtstrecke schaffte.

Drei Silberpfeile ohne Konkurrenz beim AvD-Avus-Rennen

In der ersten Startreihe standen an diesem 19. September 1954 die drei silbernen, stromlinienverkleideten Mercedes-Benz, dahinter das übrige Feld. Fangio startete am besten, dahinter Jean Behra auf Gordini und dann Kling und Herrmann, der vor dem Start Probleme mit der Schaltung hatte und schlecht beschleunigte. Als Letzter kam Louis Rosier (Maserati) weg, blieb aber schon nach einhundert Metern vor den Tribünen stehen, weil die Kardanwelle ihren Geist aufgab. In der Startrunde fuhr Fangio einen Schnitt von 192,8 km/h, in der zweiten Runde erreichte er bereits 207 km/h. In Runde drei wechselte die Führung: Herrmann lag nun vor Kling und Fangio.

Das Rennen nahm Fahrt auf: mit Herrmann an der Spitze vor Kling und Fangio, dem – so hatte es beinahe den Anschein – die Avus nicht zu liegen schien. Bereits im Training hatte der Argentinier erhebliche Schwierigkeiten mit der Nordkurve, die er in den ersten Runden zu hoch ansteuerte. Behra auf Gordini hielt sich tapfer an vierter Stelle, doch in der 14. Runde blieb er aus. Zuvor hatte er für Furore gesorgt. Der bekannte Motorsport-Journalist Ernst Rosemann schrieb damals in seinem Rennbericht: „Lediglich Jean Behra sorgte anfangs für Spannung. Er startete eine tolle Ouvertüre und hätte aus dem Propagan-da-Fonds eine Sonderprämie für feurige 13 Runden verdient gehabt. Immer mitten im Pulk der drei Mercedes-Piloten Fangio, Kling und Herrmann, einmal sogar an der Spitze, auch wenn das wohl bedacht war. Dann fi el das kleine blaue Auto auseinander.“ Durch Lautsprecher wurde bekanntgegeben, dass Behra an Posten 5 mit Maschinenschaden liegengeblieben war. Später berichtete der Franzose, „der Motor seines Gordini habe sich wohl in alle Einzelteile zerlegt“. Somit waren die drei W 196 die einzigen ernsthaften Konkurrenten in diesem Rennen – für die anderen Wagen blieb nur noch eine Statistenrolle. Folglich verlief das Rennen Runde um Runde ziemlich eintönig, obwohl die drei Mercedes-Fahrer ständig ihre Positionen wechselten: Fangio, Kling und Herrmann – jeder ließ sich einmal, mehrmals in Führung liegend, aus der Nordkehre in die Tiefe, in die Gerade an den Tribünen vorbei in Richtung Südkurve schießen. Indy-Rekord pulverisiert
In der 52. Runde fuhr Fangio einen Durchschnitt von 224 km/h, die schnellste Runde des Tages. Als die Spitze in die letzte Runde ging, kam Helmut Niedermayr auf Klenk-Veritas in langsamen Tempo in die Nordkurve und hielt an der Box – immerhin wurde er noch als Siebter hinter Fred Wacker und vor Harry Schell gewertet. Bis in die letzten hundert Meter hinein tobte der Dreikampf, als Kling in die Steilwand kurvte, Fangio noch einmal versuchte, ihn hier abzufangen. Doch es war für den Argentinier zu spät: An erster Stelle Kling nach 500 1600 ccm. Diesen zehn Fahrzeugen folgte zwei Minuten später ein Dutzend Seriensportwagen bis 1300 ccm – ausschließlich Porsche. Helm Glöckler führte das Feld an, drehte die Startrunde mit 151,6 km/h und verbesserte sich im nächsten Durchgang auf 163,3 km/h. In der dritten Runde aber zeigte sein Auto starke Rauchentwicklungen, er wurde merklich langsamer und musste Helmut Polensky an sich vorbeilassen. Polensky gewann die 1600er Klasse nach 15 Runden mit einer Gesamtzeit von 47:45,2 Minuten (156,5 km/h). Auf die nächsten Plätze kamen Ernst Lautenschlager, Arthur Heuberger und Richard von Frankenberg. Polenskys Sieg reichte aber nicht zum Gewinn der Deutschen Meisterschaft, den Titel sicherte sich der unter dem Pseudonym gemeldete „Axel Linther“ aus Köln. Nach dem Rennen wurde bekannt, dass es sich bei diesem Fahrer um Wolfgang Graf Berghe von Trips aus Horrem handelte, der zusammen mit seinen Eltern auf Burg Hemmersbach, 20 Kilometer nordwestlich von Köln, wohnte. Trips begann seine Motorsportkarriere 1950 auf dem Motorrad und startete bis 1953 in Zuverlässigkeitsprüfungen, Gelände- und Orientierungsfahrten.

Die Konkurrenz sah nur noch das Heck des W196 beim  AvD-Avus-Rennen
Die Konkurrenz sah nur noch das Heck des W196
Auf dem Weg zum Sieg: Karl Kling beim AvD-Avus-Rennen
Auf dem Weg zum Sieg: Karl Kling

In der Klasse bis 1300 ccm erzielte der Sieger, Victor Rolff, einen Gesamtdurchschnitt von 154,1 km/h. Er gewann damit die Deutsche Meisterschaft in dieser Klasse. Den über 20 Runden (168 km) ausgeschriebenen Lauf der Rennsportwagen bis 1500 ccm bestritten 17 Fahrer. Sofort setzte sich Richard von Frankenberg an die Spitze, dem Hans Herrmann (beide auf Porsche 550 Spyder) folgte. Erstmals waren die Borgward-Fahrzeuge von Karl Günther Bechem und Adolf Brudes mit Benzineinspritzung ausgerüstet. Obwohl die beiden Porsche überlegen waren, hielt Bechem – verbissen kämpfend – den dritten Platz. Brudes wurde zwar in der 15. Runde vom Spitzenreiter von Frankenberg überholt, belegte am Ende aber immerhin noch den sechsten Platz. Der Zieleinlauf hieß schließlich von Frankenberg vor Herrmann und Bechem.

Karl Kling

Karl Kling wurde am 16. September 1910 in Gießen geboren. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg war er in vereinzelten Einsätzen für Daimler-Benz in Tourenwagen-Veranstaltungen aktiv. Unmittelbar nach Kriegsende auf Veritas erfolgreich, wurde er nach 1948 dreimal in Folge Deutscher Sportwagenmeister. 1950 kam es zum ersten Sieg auf Mercedes. Weitere große Erfolge erzielte Kling mit dem Rennsportwagen 300 SL von 1952. Unvergessen blieb die Kollision mit einem Geier bei der Carrera Panamericana in Mexiko 1952, die ihm und seinem dabei verletzten Beifahrer Hans Klenk beinahe den Sieg gekostet hätte.
Bei der Rückkehr der Daimler-Benz AG zum Grand-Prix-Sport 1954 gehörte Kling zum erfolgreichen Team neben Juan Manuel Fangio, Hermann Lang und Hans Herrmann. Der von Alfred Neubauer als „Gentleman am Steuer“ bezeichnete Pilot fuhr zahlreiche hervorragende Platzierungen für das Mercedes-Team ein. So erreichte er beispielsweise gleich im ersten Formel-1-Rennen von Mercedes-Benz, dem Großen Preis von Frankreich 1954, einen zweiten Platz hinter Fangio.
Seit 1956 als Nachfolger Neubauers in der Position des Leiters der Sportabteilung kam es nur noch zu sporadischen Einsätzen, wie beim Gewinn der Rallye Algier-Kapstadt 1959 oder dem Sieg bei der Rallye Algier-Lagos-Algier 1961 auf einem 220 SE. Nach seiner Pensionierung 1968 stand Karl Kling noch viele Jahre der Mercedes-Benz-Sportabteilung als Berater zur Seite. Die Rennfahrer-Legende starb am 18. März 2003 im Alter von 92 Jahren in Hemmenhofen am Bodensee.

Start der Seriensportwagen vom AvD-Avus-Rennen, allesamt Porsche 356
Start der Seriensportwagen, allesamt Porsche 356

Juan Manuel Fangio

Juan Manuel Fangio, Geboren am 24.06.1911 in Balcare, Argentinien. Sohn italienischer Einwanderer. Er absolvierte eine Lehre als Automechaniker und eröffnete nach seiner Militärzeit mit einem Freund eine kleine Juan Manuel Fangio wurde am 24. Juni 1911 im argentinischen Balcare als Sohn italienischer Einwanderer geboren. Er absolvierte eine Lehre als Automechaniker und eröffnete nach seiner Militärzeit mit einem Freund eine kleine Werkstatt.

Bis zum Zweiten Weltkrieg machte Fangio durch gute Leistungen auf nicht konkurrenzfähigen Fahrzeugen auf sich aufmerksam, was 1949 zu einem erfolgreichen Engagement in Europa für Maserati führte (sechs Starts, sechs Siege). 1951 folgte der Weltmeistertitel auf Alfa Romeo. Nach einem schweren Unfall 1952 fuhr er bereits im folgenden Jahr wieder Rennen und wurde Vizeweltmeister.
In das Rennteam von Daimler-Benz trat der Argentinier 1954 ein und setzte hier seine Siegesserie fort. Nach 1955 fuhr er noch drei Jahre für Ferrari und Maserati und konnte seine Karriere 1958 als fünfmaliger Weltmeister beenden. Er besaß ab 1951 eine Vertretung für Mercedes-Benz-Fahrzeuge in Buenos Aires und wurde 1974 Präsident der Mercedes-Benz Argentina S.A. Am 17. Juli 1995 starb Juan Manuel Fangio in Buenos Aires im Alter von 84 Jahren. Er war einer der herausragenden Fahrerpersönlichkeiten in der langen Geschichte des Automobilrennsports.

Hans Herrmann

Hans Herrmann wurde am 23. Februar 1928 in Stuttgart geboren. Er gehörte zur Riege der erfolgreichen Rennfahrer, mit denen die Daimler-Benz AG in den 1950er-Jahren in den Grand-Prix-Motorsport zurückkehrte.
Seine Karriere begann 1952 bei der Hessischen Winterfahrt. Im gleichen Jahr erhielt er bei der Deutschlandfahrt die Goldene Medaille des Klassensiegers. Ab 1954 setzte er sein Talent als Werksfahrer im neuen Formel-1-Team von Mercedes-Benz ein. Beim Großen Preis von Frankreich, seinem ersten Formel-1-Rennen, fuhr Herrmann Rundenrekord. Beim Großen Preis der Schweiz und beim AvD-Avus-Rennen schaffte er es auf das Siegerpodest.
1955 verunglückte der Stuttgarter beim Grand Prix von Monaco. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war sein Engagement beendet. Mercedes-Benz hatte sich inzwischen aus dem Motorsport zurückgezogen. In der Folgezeit startete Hans Herrmann vor allem auf Porsche und beendete seine Laufbahn 1970 mit einem Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans.

Fotos: Daimler AG, Privat