Jürgen Barth

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Jürgen Barth: Man muss sein eigenes Rennen fahren und die Technik verstehen

Jürgen Barth ist unter den Rennfahrern jemand, der den Motorsport aus beinahe jedem Blickwinkel betrieben, begleitet, gestaltet oder auch initiiert hat. Im Hinblick auf den Porsche-Motorsport gilt auch er als ausgesprochene Koryphäe. Denn er wuchs schon beruflich im Hause Porsche auf, bekleidete dort über drei Jahrzehnte auch verschiedene wichtige Funktionen rund um das Thema Motorsport und ist dem Unternehmen bis heute stets verbunden geblieben. Kfz-Schlosser, Industriekaufmann, Diplom-Techniker waren hier die ersten Abschlüsse zwischen 1966 und 1972. Schon 1969 wurde er zudem Assistent des Leiters der Sport- und Presseabteilung, Fritz Huschke von Hanstein, mit dem Aufgabengebiet Organisation der Rallye-Aktivitäten des Hauses Porsche, ab 1972 war er unter anderem verantwortlich für die Porsche-Sport-Homologationen, ab 1976 für die administrative Organisation des gesamten Porsche-Motorsports sowie Vertreter der Porsche AG bei den offiziellen Organen FIA/BPICA/INS und anderen, ab 1980 Koordinator des Porsche-Motorsports intern und extern und ab 1982 Leiter des Porsche-Kundensports weltweit mit Aufbau einer neuen Kundensportabteilung in Weissach und zuständig für den Bau diverser Sonderserien wie Porsche 962, 911 SC/RS, Carrera 4 Leichtbau und 911 Carrera 3,8 RS sowie RSR. „Und ganz am Anfang,“ ergänzt er noch, „habe ich die Rennwagen verschiedener Besitzer, die ich dann auch fuhr, ja auch selbst hergerichtet, wie beispielsweise auch die 911 S des Schweden Ake Andersson und des Amerikaners John Buffum Anfang der 70er Jahre.“

Kein Zweifel, Jürgen Barth ist der Rennfahrer, der vergleichsweise Motorsport quasi studiert hat. Schon zwischen 1977 und 1987 veröffentlichte er gemeinsam mit dem befreundeten Journalisten Lothar Boschen erste Bücher, „Das große Porsche Typenbuch“, „Das große Porsche Sondertypen Buch“, die auch in Englisch, teils auch in Französisch und Italienisch erschienen. Später kamen mit wechselnden Co-Autoren auch Bücher über den Porsche 904, 934 und 935 sowie 936 hinzu. Er gab die LP „Porsche Sound History“ heraus und gibt als Schreiber nach wie vor die tiefen Einblicke des Insiders, so gegenwärtig auch in der CURBS-Artikelserie „FIA HTPs wie sie sein sollten“ (Seite 36).

In der Begegnung strahlt er zumindest äußerlich Ruhe und Gelassenheit aus, auch als Rennfahrer war und ist Jürgen Barth – mit 69 Jahren fährt er immer noch! – nicht der nervöse Typ. „Ich bin als Fahrer in meiner Karriere schon sehr bald herum-gereicht worden, weil ich halt zuverlässig war“, offenbart er und skizziert noch seine Philosophie hinter dem Lenkrad. „Ich bin in meinem ganzen Rennfahrerleben auch nie mit 100 Prozent Einsatz gefahren, ich drehe den Motor beispielsweise bis 7.500 Umdrehungen statt bis 8.000, das macht genauso viel Spaß, aber das Material wird besser geschont.“ Mit dieser Einstellung hat er – eher „nebenberuflich“ – auch noch eine ganz passable Rennfahrerkarriere hingelegt, die insbesondere in großen Erfolgen bei bedeutenden Langstreckenrennen für Sportwagen gipfelte, wo eine solche Einstellung durchaus gefragt ist. Und er trat damit auch genau in die Fußstapfen seines berühmten Vaters.

Jürgen Barth wurde am 10. Dezember 1947 in Thum, im sächsischen Erzgebirgskreis als Sohn von Edgar Barth geboren. Der Vater hatte seine Rennfahrer-Karriere 1934 als 17-Jähriger mit Motorradrennen auf DKW und BMW begonnen und nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Familie in der DDR lebte, bis Mitte der 50er Jahre vor allem mit den „ostzonalen“ EMW- und AWE-Rennsportwagen aufgetrumpft. Es wurde ihm aber zunehmend klarer, dass auf Dauer im „Sozialismus“ wirklich große Erfolge im Motorsport nicht funktionieren würden, außerdem wurde dann noch Ende 1956 das „Rennkollektiv“ der Automobilwerke Eisenach (EMW) aufgelöst. So akzeptierte er 1957 das Vertragsangebot, für Porsche zu fahren. Als er dann nach seinem Klassensieg bei den 1000 km Nürburgring im Porsche 550 Spyder mit der Hymne der seinerzeitigen Bundesrepublik Deutschland geehrt wurde, entzog ihm der ADMV in Ost-Berlin die Lizenz und untersagte ihm weitere Rennteilnahmen. Edgar Barth beschloss, in Westdeutschland zu bleiben und wurde daraufhin seitens der DDR der „Republikflucht“ angeklagt. „Er konnte nicht mehr in die DDR zurück,“ unterstreicht sein Sohn, „als Leistungssportler wäre er dort sofort ins Gefängnis gekommen.“

Zu diesem Zeitpunkt war Jürgen Barth neun Jahre alt. Schon in den Jahren zuvor durften seine Mutter Gerda und er den Vater auf seinen Reisen in die BRD und zu Rennen dort nicht begleiten, mussten dann stets ihre Pässe abgeben, nun aber waren diese dauerhaft konfisziert. „Ich wunderte mich dann in der Folge über die teils auch hektischen Aktivitäten meiner Mutter, insbesondere auch das ständige Packen von Paketen und häufige Gänge zum örtlichen Postamt“, erinnert sich Jürgen Barth. Am 30. November 1957, dem Totensonntag, wo erfahrungsgemäß die Grenzkontrollen nicht so akribisch waren, riskierte die Mutter mit ihm dann die Flucht im Zug von Ost-Berlin nach West-Berlin – und sie hatten Glück! In dem Augenblick, als sie die Grenze passiert hatten, fragte seine Mutter, was er davon halten würde, in Westdeutschland zu bleiben. „Fantastisch, antwortete ich, dann muss ich am Montag nicht in die Schule!“

Vater Edgar Barth errang in der Folge für Porsche noch viele und auch große Erfolge. 1959 wurde er Gesamtsieger der Targa Florio im Porsche RSK Spyder, 1959, 1963 und 1964 dreimal Europabergmeister. 1964 erkrankte er an Magenkrebs, diesem Leiden erlag er am 20. Mai 1965. „Ich denke schon, dass er es sehr gern gesehen hätte, dass ich als Rennfahrer in seine Fußstapfen trete“, erzählt Jürgen Barth. „Wohl hat er das nie offen angesprochen. Das Wichtigste für ihn war, dass ich eine geregelte Ausbildung absolviere, was ich mit Kfz-Schlosser und Industriekaufmann dann ja auch erreichte. Es war eigentlich logisch, dass ich meine Lehre 1963 bei Porsche begann, denn für Porsche-Mitarbeiter wie meinen Vater war es seinerzeit immer einfacher, dort eine Lehrstelle für die Kinder zu bekommen. Ich durfte aber auch schon mit zehn Jahren bei Fahrerlehrgängen der Scuderia Hanseat am Nürburgring seinen Porsche 356 Carrera 2 selbst bewegen und den Schülern die Ideallinie vorführen – außer Sichtweite von ihm und den Schülern habe ich dann natürlich noch mehr Gas gegeben.“ 1968 errang Jürgen Barth dann seine ersten Erfolge als Rennfahrer, zunächst bei Rallyes, 1969 dann auch bei ersten Rundstrecken- und Bergrennen. Er fuhr Gruppe 3-Fahrzeuge vom Schlage eines Porsche 356 S 90, Porsche 911 T, auch NSU Wankel Spyder. Wie stand die Mutter zu seinen Ambitionen? „Das war kein Problem,“ erklärt er, „im Gegenteil, sie hat das sogar auch mit einem lächelnden Auge gesehen.“

Seine Funktionen rund um den Motorsport im Hause Porsche Ende der 60er, Anfang der 70er machten ihn in der Szene auch zunehmend besser bekannt, abgesehen einmal vom Namen als Sohn des Edgar Barth. Und schon ab 1971 bekam er Cockpits angeboten, unter anderem gleich auch noch für große Langstreckenrennen im Ausland. Er fuhr die Porsche 911 der Franzosen Gérard Larousse und René Mazzia sowie des Schweden Ake Andersson. Beim Grand Prix de Paris in Montlhéry 1971 errang er im Larrousse-911 ST den Klassensieg in der Kategorie Spezial-GT. Und bereits bei seinem allerersten Le Mans-Start beeindruckte er gehörig an der Seite von René Mazzia im Porsche 911 E – zweiter Platz bei den Gruppe 4-GT und achter Platz im Gesamtklassement! Das sprach sich sehr schnell herum, Jürgen Barth erwarb auch in der Folge zunehmend den Ruf, ein Steher, ein Ankommer zu sein, der nichts kaputt machte, Fahrzeug-Eigentümer lieben so etwas. Und wenn die Rennfahrzeuge von technischen Defekten verschont blieben, war er in den Klassen, den Kategorien und später auch in den Gesamtklassements zumindest mit vorn, wenn denn nicht Sieger. Das war sein Stil.

Für etliche rennfahrende Porsche-Kunden dies- und jenseits des Atlantiks wurde er über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg die ideale Ergänzung im Cockpit oder im Team. So vertraute beispielsweise Georg Loos dem seinerzeit 25-Jährigen für die Interserie 1973 mit dem Porsche 917 Spyder dann auch bereits einen hochkarätigen Rennsportwagen an. Bestechende Bilanz: Bei allen vier Einsätzen war Barth gut platziert im Ziel, Fünfter am Norisring und beim „Südwest Pokal“ in Hockenheim, Sechster in Misano sowie Siebter beim „Preis von Baden-Württemberg“ in Hockenheim. Zusätzlich verstärkte Loos in den Jahren 1973 und 1974 mit Jürgen Barth seine Fahrertruppe im Granturismo-Carrera in den Läufen zur Marken-WM und GT-EM, hier auf der Langstrecke bei den 6h Monza. Vornweg stehen hier für Barth die GT-Kategoriensiege bei den 1000 km Spa und Nürburgring 1974 sowie zweite Plätze bei den 24h Le Mans 1973 und den 1000 km Le Castellet 1974 zu Buche. „Der Georg war aber ein sehr spezieller Mensch“, fügt Jürgen Barth noch an. „Ich hatte mit ihm den Deal, wenn wir gewinnen, bekomme ich zehn Prozent des Preisgeldes, den Rest musste ich selbst bezahlen. Ich kann mich noch gut an die 1000 km Zeltweg 1974 erinnern, wir wurden Vierter in der GT-Klasse, und mein Anteil vom Preisgeld war 20,53 DM. Also schickte ich ihm eine Rechnung darüber, er bezahlte aber nur 20,51 DM, denn er hatte den Wechselkurs anders berechnet. Georg war ein sehr schwieriger Kunde, man konnte ihm nichts wirklich recht machen. In der Interserie überholte ich ihn einmal mit dem 917 Spyder, er fuhr den 917/10 Turbo – da durfte ich halt das nächste Rennen nicht fahren…“

Auch in solcher Beziehung waren die nächsten Jahre, in denen Jürgen Barth auch immer wieder für das Team von Reinhold Joest in die Lenkräder griff, vergleichsweise eine regelrechte Erholung. Hier fuhr er die zwar betagten, aber dank sorgfältigster Vorbereitung sehr zuverlässigen Porsche 908/3- und 908/3-Turbo-Versionen. Und obwohl der Saugmotor-908/3 vergleichsweise motorisch schwach auf der Brust war, kamen auch exzellente Resultate in den Gesamtklassements dabei heraus, allein zwischen 1975 und 1977 bereits vier dritte und fünf vierte Plätze in Läufen zur Marken-WM, zur Sportwagen-WM und Interserie. Eine Krönung seiner Zeit bei Joest war sicher sein Gesamtsieg bei den 1000 km Nürburgring 1980 mit Rolf Stommelen im Porsche 908/3 Turbo. „Das Team von Reinhold Joest war das beste, dass man sich vorstellen konnte. Ich kam auch mit Rolf gut klar, der aber immer an der ‚Turbo-Schraube‘ drehte und sehr stark die Bremsen beanspruchte. Wenn ich einstieg, musste ich erst einmal den Ladedruck herunterdrehen und die Bremsen erholen. Lustig war bei Betrachtung aller Rundenzeiten, dass er zwar wiederholt Superzeiten gefahren, ich aber über die Distanz schneller war. Ich hatte dann noch das Pech eines schleichenden Plattfußes auf der Gegengeraden und musste eine Nordschleife-Runde ganz vorsichtig fahren. Am Anfang der ‚Döttinger Höhe‘ hatte sich der Reifen völlig aufgelöst, ich hielt an und zog noch die Karkasse vom Reifen, um keine Karosserieschäden zu verursachen – wir siegten dennoch.“

Zu diesem Zeitpunkt war er auch schon wiederholt als Porsche-Werksfahrer eingesetzt worden, und dabei war ihm mit dem Gesamtsieg bei den 24h Le Mans 1977 im Porsche 936 gemeinsam mit Jacky Ickx und Hurley Haywood der wohl größte Triumph in seiner Rennfahrer-Karriere gelungen. Dabei hatte es zunächst überhaupt nicht danach ausgesehen, denn schon in der Anfangsphase des Rennens war der Barth/Haywood-936 durch den Tausch einer Benzinpumpe weit zurückgefallen. Nachdem der zweite 936 mit Ickx/Pescarolo mit Motorschaden ausgefallen war, setzte die Porsche-Rennleitung Jacky Ickx als dritten Fahrer auf das Barth/Haywood-Auto, was das Reglement innerhalb eines Teams auch erlaubte. Ickx brachte in den Nachstunden den verbliebenen 936 wieder bis auf den vierten Platz im Gesamtklassement, und dann hatten sie großes Kriegsglück – am Sonntag fielen noch alle drei davorliegenden Renault-Alpine mit Motorschäden aus. Eine Stunde vor Schluss musste der Porsche dann allerdings mit Zylinderschaden in die Boxen, hatte aber noch 16 Runden Vorsprung vor dem Mirage GR 8-Renault von Jarier/Schuppan. Bei Porsche wartete man bis wenige Minuten vor Rennende, dann „trug“ Jürgen Barth das Auto regelrecht noch einmal für zwei Runden mit rauchendem Motor um den Kurs und stellte auch so den Sieg endgültig sicher. 1978 wurde er im Werks-936 noch einmal Zweiter Gesamt in Le Mans, 1982 im Werks-956 Dritter Gesamt. Gibt es so eine Art „Grundgesetz“ für große Erfolge in Le Mans? „Man sollte sein eigenes Rennen fahren,“ philosophiert Jürgen Barth, „was damals ja noch wichtiger war als heute, denn die Technik war seinerzeit noch nicht so weit, die Fahrer hatten auch noch keine hydraulischen und elektronischen Hilfen wie heute. Umso wichtiger war es, die Technik des Rennwagens gut zu verstehen und so das Beste herauszuholen.“


Parallel war er in jenen Jahren wiederholt auch eine treibende Kraft hinter Rallye-Projekten mit neuen Porsche-Wettbewerbsfahrzeugen und präsentierte sie dann bei bedeutenden internationalen Rallyes auch als erfolgreicher Fahrer, zumeist mit dem Porsche-Ingenieur Roland Kussmaul auf dem heißen Beifahrersitz. Allein zwischen 1979 und 1983 kam er mit den Typen 924, 924 Turbo, 924 GTS und 911 SC 3.0 bei der Rallye Monte Carlo mit auch Podiumsplatzierungen in der Klasse auf die Gesamtränge 20, 19, 10 und 9. Bei der Repco Rallye Australien 1979 wurde er mit dem Porsche 924 Klassensieger in der Gruppe 4 bis 2.000 ccm und Achter im Gesamtklassement. „In meiner Seele bin ich eigentlich Rallyefahrer,“ begründet er seine diesbezüglichen Ambitionen, „je länger eine Veranstaltung dauert, desto besser. Und da waren die damaligen Rallyes mit rund 6.000 Kilometern in fünf Tagen durch Afrika oder bei der Monte durch Schnee und Eis immer eine besondere Herausforderung. So die Monte-Sonderprüfung ‚Col de Turini‘: Sie war 28 Kilometer lang, auf dem Gipfel etwa acht Kilometer Schnee und Eis; wir fuhren trotzdem Slicks, weil das insgesamt schneller war, aber bei den Bergab-Passagen musstest du dein Auto sehr langsam mit Anlehnen an den Schneebarrieren fahren und es dabei gut beherrschen.“

Jürgen Barth Porträt
Jürgen Barth: Erfolge

Jürgen Barth übernahm auch viele Ämter rund um den Motorsport, die an ihn herangetragen wurden oder die er selbst mit initiierte. So war er unter anderem beispielsweise von 1982 bis 1986 Präsident der Sportwagenkommission der FIA, von 1984 bis 1989 Gründungsmitglied der Organisation OSCAR, verantwortlich für die Organisation und Promotion der FIA Gruppe C-Rennen, von 1989 bis 1994 Fahrersprecher der ONS, von 1990 bis 1995 permanenter Sportkommissar der DTM/ITC, 1994 Mitbegründer der BPR-Rennserie für GT-Langstreckenrennen und in der Folge auch Organisator des ersten internationalen Rennens in China. Von 1999 bis 2016 war er Vertreter aller Automobilhersteller bei der Historischen Kommission der FIA. Der Mann kennt alle Facetten des Motorsports.

Und in der ganzen Zeit bis heute hat er nie wirklich aufgehört Rennen und Rallyes zu fahren, auch im Historischen Motorsport gewinnt er seit vielen Jahren immer wieder einmal. Konditionstraining betreibt er auch noch, „ein bisschen“. „Wenn ich zuhause bin, gehe ich täglich eine Stunde ins Sport-studio, aber an 250 Tagen im Jahr bin ich nicht zuhause…“