„Jim Clark will ‘P1plus 100’ sehen“
Für seine 25 Grand Prix-Siege in Weltmeisterschaftsläufen, die einige Zeit Weltrekord waren, brauchte Jim Clark weniger als sechs Jahre. Nur zum Vergleich: Jackie Stewart – mit dann letztlich 27 Grand Prix-Siegen insgesamt – schaffte dieselbe Anzahl in rund acht Jahren, Niki Lauda mit ebenfalls 25 insgesamt benötigte dazu rund zehn Jahre.
Jim Clark ist der beste Fahrer unserer Grafschaft, sein Vater der Langsamste.“
Jim Clark kam am 4. März 1936 in Duns zur Welt, einem verträumten Ort in der schottischen Grafschaft Berwickshire. Sein Vater, James Roger Clark, war Farmer und Schafzüchter, Jim nach drei Töchtern der ersehnte Sohn. Als Neunjähriger konnte er zwar noch nicht über Armaturenbretter reichen, fuhr aber bereits, so oft der Zündschlüssel steckte, den Austin Seven des Kindermädchens. Im selben Alter zog er in die Privatschule nach Loretto und durfte fortan nur an drei Sonntagen im Jahr nach Hause. Er ging ab mit Mittlerer Reife, lernte Cricket, Hockey spielen und Rugby hassen. Der nun 16-Jährige wurde vom Vater dazu angehalten, praktische Arbeit auf dem Gut zu leisten, bevor er es übernahm. Das Anwesen in Edington Mains bei Chirnside, bestehend aus einem 400 Jahre alten Hauptgebäude und 500 Hektar Ackerland, überschrieben die Eltern ihrem Sohn 1954.<
- 1958 Gewinner „Scottish Speed Championship“ u.a. auf Jaguar D-Type
- 1959 Gewinner „Scottish Speed Championship“ u.a. auf Lister-Jaguar
- 1963 Fahrer-Weltmeister in der Formel 1 auf Lotus 25-Climax V8
- 1965 Fahrer-Weltmeister in der Formel 1 auf Lotus 33-Climax V8
- 1965 Gewinner Tasman-Serie auf Lotus 32 B-Climax 2,5 L.
- 1967 Gewinner Tasman-Serie auf Lotus 33-Climax 2,0 L.
- 1968 Gewinner Tasman-Serie auf Lotus 49 T-Ford Cosworth 2,5 L. V8
Zwei Jahre zuvor hatte der erst 16-jährige Jim noch heimlich, mit der Unterschrift seiner Schwester auf den Anmeldeformularen, erfolgreich seine Motorsport-Karriere mit einem Sunbeam Talbot bei Rallyes begonnen. Als der Vater davon erfuhr, schickte er ihn zu Fuß mit Hirtenstock und Hund aus, die Schafe zu hüten. Motorsport blieb vorerst verboten. Zwei Jahre nach Übernahme der Farm, 1956, stülpte sich Jim Clark dann aber mit Duldung der Familie den dunkelblauen Sturzhelm in der Farbe seines Motorsportclubs „Border Reivers“ über („Grenzteufel“, Lanzenbewehrter Reiter als Wappen) und debütierte auf Rundstrecken in einem DKW 3=6 bei Clubveranstaltungen in der Tourenwagenklasse bis 1.000 ccm.
Erster Formel 1-Sieg für Jim Clark nach nur zehn Monaten
In der Saison 1959 addierte der Schotte weitere 23 Siege, im Wechsel herausgefahren in einem kleinen 1,3-Liter-Granturismo-Lotus Elite und einem 250 PS starken Lister-Jaguar-Rennsportwagen. Mit dem Lotus erreichte er darüber hinaus einen viel beachteten zehnten Platz im Gesamtklassement der 24h Le Mans. Seine Leistungen im Lister veranlassten Lotus-Gründer Colin Chapman, Clark 1960 für sein Formel-Junior-Werksteam zu verpflichten. Mit seinem Sieg im FJ-Lotus 18-Ford Cosworth im Großen Preis der Solitude bei Stuttgart wurde der aufstrebende Schotte auch den deutschen Zuschauern ein nachhaltiger Begriff, einen Monat später gewann er beim „Kentish ‚100‘“ in Brands Hatch im Lotus 18-Climax sein erstes Formel 2-Rennen. Eine lange Führung beim Formel-Junior- Rennen in Monaco zuvor hatte ihm dann gleich auch die Beförderung in den Werks-Lotus-Formel-1 im selben Jahr eingetragen, hier debütierte er beim niederländischen Grand Prix am 6. Juni 1960. Nach zwei fünften Plätzen in Belgien und Frankreich sowie einem dritten Rang mit der Formel 1-Version des Lotus 18 im portugiesischen Grand Prix glänzte er auf Anhieb als Achter der Schlusswertung zur Fahrerweltmeisterschaft 1960. Im Nicht-WM-Lauf in Snetterton gelang ihm gar ein zweiter Platz. Der dritte Platz im Gesamtklassement bei den 24h Le Mans mit einem von „Border Reivers“ privat eingesetzten Dreiliter-Aston Martin-Rennsportwagen DBR I rundeten das Bild vom „coming man“ ab. Am 3. April 1961 – zu Beginn seines erst zweiten Formel 1-Jahres – feierte der 25-Jährige dann beim Nicht-WM-Lauf Grand Prix de Pau in der südfranzösischen Stadt nahe den Pyrenäen mit dem Lotus 18-Climax seinen ersten Formel 1-Sieg, herausragende eineinhalb Minuten vor dem Schweden Joakim Bonnier auf einem identischen Fahrzeug der Scuderia Colonia und zwei Runden vor dem Dritten, dem Italiener Lorenzo Bandini in einem Cooper T 51-Maserati der Scuderia Centro Sud. Allerdings war die Konkurrenzdichte in den Nicht-WM-Läufen nicht so hoch, und sie fanden in jenem Jahr auch weitestgehend ohne Ferrari-Beteiligung statt. In den WM-Läufen der ab 1961 gültigen Eineinhalb-Liter-Formel 1 hingegen litten auch Lotus und Jim Clark wie viele andere britische Teams, die zu dem Zeitpunkt nichts anderes als den relativ schwachen 1,5 Liter-Climax-Vierzylinder zur Verfügung hatten, unter einem Leistungs-Manko von 30 bis 40 PS gegenüber den Fahrern des V6-Zylinder-Ferrari Tipo 156. Da ging auch für sie so gut wie nichts.
Ewige vier Minuten und 54 Sekunden vor dem nächsten
Der noch 1961 präsentierte und dann ab 1962 auch von Lotus eingesetzte Climax-V8-Zylinder drehte den Spieß gewaltig um, nun war Ferrari erst einmal im Hintertreffen. Das ganze Jahr über hatte Jim Clark eine Titelchance und verlor erst im letzten WM-Lauf im süd-afrikanischen East London in Führung liegend wenige Runden vor Schluss die Weltmeisterschaft durch technischen Defekt an Graham Hill (BRM). Mit dem revolutionären Lotus 25-Climax V8, dem ersten Formelwagen in Halbschalen-Bauweise (Monocoque), sowie dem direkten Vorgänger Lotus 24 feierte er in drei Grands Prix (Belgien, Großbritannien, USA) und fünf Nicht-WM-Läufen (Snetterton, Oulton Park, Aintree, Mexiko und Kyalami) schon acht Saisonsiege in der Formel 1. Keine vier Jahre nach seinem Formel 1-Einstieg wurde der Schotte 1963 schließlich zum ersten Mal Fahrerweltmeister. Von zehn WM-Läufen gewann er nicht weniger als sieben, dazu in Pau, Imola, Silverstone, Oulton Park und im schwedischen Karlskoga fünf weitere Formel 1-Rennen. Darüber hinaus erkämpfte er in jener Saison drei Siege mit dem Lotus 23 B-Rennsportwagen in Oulton Park, Crystal Palace und Brands Hatch, einen 16. Lorbeerkranz konnte er sich nach einem Tourenwagenrennen mit dem Ford Galaxie in Brands Hatch umhängen. So lange sein Wagen einwandfrei lief, war er im Grunde nicht zu schlagen, demoralisierte bisweilen die Konkurrenz regelrecht. Wiederholt lag in den Formel 1-WM-Läufen der jeweils Zweite im Ziel über eine Minute zurück, im verregneten belgischen Grand Prix in Spa-Francorchamps passierte Clark gar ewige vier Minuten und 54 Sekunden vor Bruce McLaren im Cooper-Climax die Schachbrettflagge, im niederländischen Zandvoort überrundete er als Sieger vor Dan Gurney (Brabham-Climax) sogar das ganze Feld, einschließlich Gurney. Die 1,5 Liter-Formel 1 avancierte zur „Formel Clark“, und Teamchef Colin Chapman offenbarte dessen Ehrgeiz in jenen Tagen mit den Worten: „Jim will auf unseren Signaltafeln ‚P1 plus 100‘ sehen.“ Sprich: Führung plus 100 Sekunden Vorsprung vor dem Nächsten. Im Jahr darauf allerdings wuchsen die Bäume nicht in den Himmel. In der Fahrerweltmeisterschaft 1964 musste sich der Schotte im weniger zuverlässigen Lotus 33-Climax V8 letztendlich hinter John Surtees (Ferrari) und Graham Hill (BRM) an dritter Stelle der Tabelle einreihen. Er siegte in den Grands Prix der Niederlande, von Belgien und Europa in Brands Hatch, dazu in den Nicht-WM-Läufen in Goodwood und auf der Solitude.
Stirling Moss: „Jim Clark hat mehr Naturtalent als alle anderen“
1965 gewann er dann aber wieder wann, wo und wie er wollte. Mit dem Lotus 33-Climax V8 errang er seinen zweiten Weltmeistertitel in der Formel 1, erhielt in sechs Grands Prix die Schachbrettflagge als Erster, davon fünfmal hintereinander. In Spa-Francochamps – auf einer Strecke, die er eigentlich hasste – geschah das seit 1962 zum vierten Mal in Folge, in Zandvoort seit 1963 zum dritten Mal. In den Nicht-WM-Läufen in Syrakus und Goodwood holte sich Clark zwei weitere Formel 1-Siege. Als erster Europäer seit 1916 triumphierte er mit dem fast 500 PS starken Lotus 38-Ford auch bei den legendären 500 Meilen von Indianapolis und stellte damit gleichzeitig dort den ersten Sieg eines Mittelmotor-Rennwagens sicher. In Pau, Crystal Palace, Rouen, Brands Hatch und Albi brachte er fünfmal den Formel 2-Lotus 35-Cosworth als Ersten über die Ziellinie. Auf dem fünften Kontinent, in Australien und Neuseeland, wurde er mit Formel 1-ähnlichen Lotus-Rennwagen Gewinner der so genannten Tasman-Serie. Mit dem Renntourenwagen Ford Cortina Mk I Lotus dominierte er die 3h Sebring und sorgte in Silverstone auch für den einzigen Sieg eines Lotus 30-Rennsportwagens. In dieser Zeit attestierte ihm Stirling Moss, der fahrerische Maßstab unmittelbar vor der Clark-Ära, neidlos: „Er hat mehr Naturtalent als alle anderen.“
Für die ab 1966 gültige Dreiliter-Formel 1 konnte dann der langjährige Motorenlieferant Climax Lotus kein geeignetes Triebwerk mehr zur Verfügung stellen. Colin Chapman behalf sich übergangsweise mit auf zwei Liter aufgebohrten 1.500 ccm-Motoren und parallelen Experimenten mit dem komplizierten Dreiliter-H16-Zylinder von BRM. Als dieser zum Jahresende für einmal befriedigend lief, gelang Jim Clark in Watkins Glen (USA) sein einziger Grand Prix-Sieg der Saison. Platz sechs in der Fahrerweltmeisterschaft entsprach den Umständen. Der zweite Platz bei den 500 Meilen von Indianapolis entschädigte wenigstens finanziell für die vergleichsweise magere sportliche Ausbeute des Jahres.
Mit dem kompakten, kräftigen Dreiliter-Ford-Cosworth-V8 im Rücken kehrte der „fliegende Schotte“ 1967 in der Formel 1 in den Kreis der Titelfavoriten zurück. Der Lotus 49 erwies sich allerdings noch als etwas zu defektanfällig, so dass für ihn letztlich nach immerhin vier Saisonsiegen in den Niederlanden, Großbritannien, USA und Mexiko in der Fahrerweltmeisterschaft nicht mehr als der dritte Schlussrang möglich war. In vier anderen Grands Prix war der Schotte teils überlegen in Führung liegend ausgefallen. Zum zweiten Mal nach 1965 wurde er mit fünf Siegen Tasmanischer Meister und gewann mit dem Lotus 48-Cosworth FVA in Barcelona, Jarama und im finnischen Keimola auch dreimal in der Formel 2.
Im Januar 1968 stellte er dann im südafrikanischen Kyalami mit seinem insgesamt 25. Grand Prix-Sieg in der Formel 1 einen neuen Weltrekord auf, seinerzeit vor Juan Manuel Fangio mit 24 Grand Prix-Siegen. Christchurch, Surfers Paradise und erneut Sandown Park waren Lorbeer-Stationen auf seinem Weg zum dritten Tasman-Titel. Alles deutete auf ein weiteres triumphales Rennjahr für ihn hin… Der große Jim Clark, der zwischen 1963 und 1968 in fünf Jahren fünf Meistertitel im Formelwagen errungen hatte, starb jedoch bei einer Veranstaltung, bei der es für ihn vergleichsweise um nichts ging. Weder konnte er als so genannter A-Fahrer Punkte zur Formel 2-Europameisterschaft sammeln, noch hatte sein Formel 2-Lotus 48 zu diesem Zeitpunkt wirklich Siegchancen, als der Schotte am 7. April 1968 in Hockenheim auf regennasser Fahrbahn in sein letztes Rennen ging. Nachdem sich das Feld sortiert hatte, lag Clark ohne direkten Kontakt zur Spitzengruppe und den Verfolgern einsam auf Platz acht. In der fünften Runde beobachtete der etwa 200 Meter hinter ihm fahrende Brite Chris Irwin, dass Clark auf dem Weg zur „Ostkurve“ hinter dem langgezogenen Rechtsbogen plötzlich ohne ersichtlichen Grund ins Schleudern geriet. Rund 500 Meter davon entfernt stand ein Streckenposten, der Irwins Augenzeugenbericht ergänzen konnte: Der Wagen habe sich wie im Slalom von einer Straßenseite zur anderen bewegt, Clark habe versucht, mit Lenkbewegungen zu korrigieren, ehe sich der Lotus völlig quergestellt habe und breitseits gegen einen Baum geprallt sei.Vorder- und Hinterteil des Wagens wurden abgerissen und über 100 Meter weit verstreut. Jim Clark, der Schädelbasis- und Genickbruch erlitt, war sofort tot. Die Unfallursache wurde lange diskutiert und letztendlich nie wirklich hundertprozentig geklärt. Als Versionen mit hohen Wahrscheinlichkeitsgraden wurden Hinterradaufhängungsbruch, Reifenschaden, Motorklemmer oder Ausweichmanöver wegen Zuschauern, die dort plötzlich über die Fahrbahn gerannt wären, gehandelt. Die von Lotus-Chef Colin Chapman in Auftrag gegebene Untersuchung des Unfalls durch Peter Jowitt, einen auf Unfallermittlungen von Militärflugzeugprototypen spezialisierten Ingenieur, kam zu dem Ergebnis, dass ein Reifenschaden ursächlich für das Unglück gewesen wäre.
Ein Fahrfehler Clarks an dieser Stelle wurde sehr bald mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, ebenso wenig kam Aquaplaning in Betracht. Nach Aussagen anderer Piloten stellte die dort erzielte Höchstgeschwindigkeit von etwa 265 km/h nicht einmal bei strömendem Regen erhöhte Anforderungen an das Fahrkönnen. Und geregnet hatte es zum Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr.
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