Wir stellen den Audi Sport quattro mit Mittelmotoranordnung vor. Das Projekt war eigentlich gar nicht erlaubt und sorgte später im Volkswagen-Konzern für viel Wirbel. Vielleicht hätte dieser Wagen aber Audi in der Rallye-Weltmeisterschaft 1985 wieder auf die Siegerstraße zurück gebracht.
Der Genfer Automobilsalon 1980 war für die Geschichte der Marke Audi ein einschneidendes Ereignis. Als Audi das erste Sportcoupé mit permanentem Allradantrieb vorstellte, war die Fachpresse begeistert. Gleichzeitig kündigte man an, die Qualitäten des quattro im Rallyesport unter Beweis stellen zu wollen. Die Sportjournalisten prognostizierten für den Rallyesport eine neue Epoche.
In der Rallye-Szene war man dagegen deutlich skeptischer und (vor)verurteilte den Audi quattro. Rallyes wurden bis dahin hauptsächlich mit heckgetriebenen Wagen gewonnen. Doch die Überraschung gelang und spätestens nach der Rallye Schweden 1981 hatte man alle Skeptiker eines Besseren belehrt. Audi-Pilot Hannu Mikkola gewann mit knapp zwei Minuten vor Ari Vatanen den zweiten Lauf zur Rallye-Weltmeisterschaft 1981 und ein Jahr später sicherte sich Audi die Herstellerwertung der Rallye-Weltmeisterschaft. Der permanente Allrad-Antrieb war dem Heckantrieb längst überlegen. Niemand hatte mit solch einem erdrückenden technischen Vorteil gerechnet.
Keine Experimente
Doch die Konkurrenz lernte schnell und nutzte gewisse Lücken im Gruppe-B-Reglement, die Audi-Sport auf Grund seiner Sportphilosophie nicht antasten durfte. Während der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, Carl Hahn, bei seiner Firmentochter Audi auf einem Serienfahrzeug als Basis beharrte, ging die Konkurrenz von Lancia, Peugeot und Renault einen anderen Weg. Diese entwickelten ihre Autos direkt für den Rallye-Einsatz. Für eine Homologation als Gruppe-B-Rallye-Wagen mussten nur 200 straßentaugliche Autos gebaut werden, für ein Evolutionsmodell nur 20 Stück. Der Produktionsaufwand war im Vergleich zum sportlichen Erfolg für den Hersteller marginal. Lancia entwickelte einen Mittelmotorwagen, der speziell für den Rallye-Einsatz ausgelegt war. Peugeot und Renault kombinierten die Konzepte Allrad und Mittelmotorlage und gaben damit die technische Richtung vor.
Der lange Audi quattro mit seinem Fünfzylindermotor vor der Vorderachse war innerhalb von zwei Jahren gegen diese neue Generation von Rallye-Autos fast chancenlos. Durch seine Gewichtsverteilung von 60% auf der Vorderachse und 40% auf der Hinterachse hatte der Audi quattro am Kurveneingang immer die Tendenz zum Untersteuern. Auf kurvigen Strecken war man im Nachteil, und die Audi Rallye-Piloten liefen Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten. Audi musste handeln und stellte mit dem neuen „Sport quattro“ eine 320mm kürzere Version vor. Der Fahrerweltmeistertitel von Stig Blomqvist war ganz im Sinne des Audi-Vorstands. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der kompaktere Audi Sport quattro S1 nur schwer kontrollierbar war. In der letzten Saisonhälfte offenbarte sich dagegen die Stärke des Peugeot 205 T16 unter der Ägide von Motorsportchef Jean Todt.
Audi-Sport-Leiter Roland Gumpert berichtete regelmäßig dem stellvertretenden Audi- Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piëch von den Erfolgen, erklärte ihm aber auch oft die Problemlage mit dem markigen Satz. „Herr Piëch, Physik kann man nicht betrügen“. Sein Wunsch, einen Audi quattro mit Mittelmotoranordnung zu entwickeln, wurde lange zurückgewiesen, weil Piech auch unter dem Druck des Vorstands der Volkswagen AG stand, und die Verantwortlichen in Wolfsburg vehement auf die Sportphilosophie pochten.
Ein Experiment
Nach langem Drängen durch Roland Gumpert willigte Ferdinand Piëch ein, unter strengster Geheimhaltung zwei Prototypen zu bauen. Ziel war es, eine Basis zu entwickeln, mit der man erste Fahrversuche durchführen konnte, aus der – so hoffte man – ein neues Einsatzfahrzeug für die Rallye-Weltmeisterschaft entstehen würde. In das Projekt war anfangs nur eine Handvoll Personen eingeweiht: Roland Gumpert als Leiter von Audi-Sport, Günther Claassen als Versuchsleiter und Norbert Weber, der maßgeblich das Fahrzeug konstruiert hatte, sowie ein paar Mechaniker. Später wussten alle Mitarbeiter von Audi Sport davon, was in einem Keller der Technischen Entwicklung aufgebaut wurde „Wir waren damals etwa 50 Mann und alle haben dichtgehalten“, bestätigte Roland Gumpert im Interview für diesen Artikel.
Technische Details zum Fahrzeug sind kaum bekannt. Naheliegend ist aber, dass die Rahmenkonstruktion sich an den Maßen des Sport quattro von 1984 orientiert haben muss. Fahrwerk, Motor, Getriebe und viele weitere Bauteile wurden übernommen und angepasst. Der Motor wurde quer eingebaut. Markant ist der große Lufteinlass hinter der B-Säule auf der linken Seite. Vermutlich diente dieser dazu, dem Turbolader des Fünfzylindermotors Luft zuzuführen. Im Kühlergrill wurden nicht wie 1984 zwei, sondern vier kleine rechteckige Scheinwerfer montiert. Im Magazin rallye racing mutmaßte man deshalb in der Mai-Ausgabe, ob daraus in Zukunft nicht sogar ein VW Scirocco entstehen könne. „Lieber hätte ich mir die Zunge abgebissen“, kommentierte Roland Gumpert rückblickend sarkastisch. Die Karosserie war laut seiner Aussage ein reines Provisorium aus vorhandenen Teilen. „Wir hätten ihn noch viel schöner gemacht“.
Hinter dem Eisernen Vorhang
Ziel dieses Mittelmotor-Quattros war es zunächst, einen Vergleich zum Sport quattro S1 (E2) zu ziehen und den Aufwand für eine konkrete Entwicklung zu eruieren. Darstellungen im Internet, es habe sich bereits um ein quasi einsatzbereites Rallye-Fahrzeug gehandelt, sind hingegen falsch. Der ehemalige Audi-Testfahrer Walter-Franz Mayer war einer der ersten, der ihn gefahren hatte, und er stellte im Interview klar: „Das war ein Basisprodukt, wo man erstmal untersucht hat, was man von den zur Verfügung stehenden Teilen hierfür verwenden kann und wo man überhaupt damit steht.“
Für die geheimen Testfahrten machte sich Audi-Sport-Leiter Roland Gumpert die geopolitische Lage dieser Zeit zu Nutze. Es war die Zeit des Kalten Krieges und Europa wurde noch durch den „Eisernen Vorhang“ geteilt. Grenzübertritte zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei waren ohne Kontrolle nicht möglich. Um ungestört testen zu können, organisierte sich das Audi-Rallye-Team östlich der Stadt Slušovice an der Landstraße zwischen Dešná und Chrastěšov eine Teststrecke mit Asphalt und Schotterwegen. Das Gelände war hermetisch abgeriegelt und überwacht. „Ich hatte dort ein paar gute Freunde und in dem Moment, wo wir die Grenze überschritten hatten, wussten wir, dass wir sicher sind. Unser Geheimwort war immer: ´Wir testen in Süditalien´.
Die Ergebnisse der ersten Testfahrten fielen wie erwartet aus. „Er war auf Anhieb viel schneller. Der Motor war natürlich genauso stark. Aber das Handling war durch die Gewichtsverteilung deutlich besser.“ erklärte Roland Gumpert. Auch Walter Röhrl bestätigte im Gespräch diese Eindrücke: „Das Auto war viel lenkaktiver als der Sport quattro.“
Raus aus dem Versteck
Audi hatte im März 1985 das sichere Versteck in der Tschechoslowakei verlassen, da die Testmöglichkeiten in der CSSR ausgeschöpft waren. Der Versuchsleiter des Projekts Günther Claassen hatte vom Abt des Zisterzienserklosters Stift Rein bei Gratwein die Zusage bekommen, in deren abgesperrten Wäldern testen zu können. Als jedoch der Transporter von Audi Sport in dem kleinen Vorort eintraf und auch noch der ungewöhnlich laute Motorenlärm zu hören war, wurden die Anwohner aufmerksam. Äußerst ungeschickt war es, mit dem streng geheimen Prototyp auch durch die Ortschaften zu einer öffentlichen Tankstelle zu fahren. „Wir haben davon vehement abgeraten, aber es wurde zugelassen“ erinnerte sich Karl Hasenbichler, der damals für die Betreuung der Motoren zuständig war.
Der Fotograf Eckhardt Herget hatte den Tipp bekommen und schoss fünf Fotos vom streng geheimen Audi, als der Testfahrer Franz Walter Mayer im Schnee über die Landstraße fuhr. Am nächsten Tag erschienen in der Kleinen Zeitung die vier Fotos mit der Überschrift „Audi ließ den `Neuen´ raus“. Der Autor des Artikels Gerhard Nöhrer sagt heute: „Wir wussten ja damals nicht, wie hochbrisant das Auto war und welcher Folgen die Veröffentlichung der Fotos hatte.“
Nach dem Erscheinen der Fotos brachen Günther Claassen und Audi-Mechaniker die Tests ab und luden hektisch das Auto wieder in den Transporter. Einen Tag später wollte auch Walter Röhrl den neuen Audi Mittelmotor Sport quattro testen. Seinem Vorschlag, das Auto heimlich nach Freilassing zu bringen und das Auto auf abgelegenen Straßen in Niederbayern zu testen, stimmte Günther Claassen zu. Röhrl raste über Schleichwege durch die Landschaft. Hinter einer Kuppe wurde er von einer Polizeistreife angehalten. Seit zehn Minuten hatten sie den neuen streng geheimen Sport quattro gehört. Das Vorhaben den Raser zu vernehmen, wich der Begeisterung, als beide Polizisten feststellten, dass es sich um Walter Röhrl handelte. Auf die Frage, ob sie Erinnerungsfoto machen könnten, flehte Röhrl sie an dies nicht zu tun. Stattdessen musste er einen rasanten Start hinlegen.
Kleine Zeitung – großer Ärger
Mitte März sorgte der Artikel in „Kleine Zeitung“ für ziemlich viel Unruhe im Vorstand von Audi und der Volkswagen AG. Für viel Geld kaufte Audi dem Fotografen die Negative ab. Doch es war schon zu spät. In kürzester Zeit tauchten die Bilder vom neuen Prototyp in allen einschlägigen Zeitschriften auf.
Für das Team und Versuchsleiter Günther Claassen war es eine höchst belastende Situation, als er diese Ferdinand Piëch erklären musste. Auch Piëch selbst musste sich vor dem Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG Carl Hahn rechtfertigen, warum er trotz seiner Zusicherung hinter dessen Rücken einen Mittelmotor-Audi Sport quattro entwickeln ließ. Ein Affront! Auf Anweisung von Piëch mussten alle drei gebauten Prototypen binnen einer Woche demontiert und zerstört werden. Für die eingeweihten Audi-Sport-Mitarbeiter war es ein herber Rückschlag, denn allen war klar: Das ist der richtige Weg. Walter Röhrl ist sich heute sicher: „Damit wären wir nicht nur wieder konkurrenzfähig gewesen, wir hätte die Weltmeisterschaft dominiert.“
Aber warum ließ Ferdinand Piëch ein Projekt, das selbst im Anfangsstadium derart vielversprechend war, lieber sterben? Warum versuchte er damals nicht, die Vorstände der Volkswagen AG zu überzeugen, eine neue Konzeption für den Rallye-Sport zu nutzen? Roland Gumpert ist sich heute sicher: Piëch wollte noch Vorstandsvorsitzender von VW werden. Zwei Wochen nach dem Ende des Projekts starb Günther Claassen mit nur 43 Jahren an einem Herzinfarkt.