Michele Alboreto: Ruhm, Druck und Ungnade

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Wer erinnert sich noch an – Michele Alboreto?

Michele Alboreto überzeugte immer durch kultiviertes Auftreten, Höflichkeit, Freundlichkeit. Viele lernten ihn als netten Menschen ohne Allüren kennen. Ihm gingen Imponiergehabe und temperamentvolle Gestik ab, er war ein Mann, der sich im Griff hatte. Gelegentlich artete sein Flanieren durch die Boxengasse in eine Sympathiekundgebung aus, die Groupies vergötterten ihn. Völlig aus dem Rahmen fallend ist eine einzige Schlägerei dokumentiert, in die er während des kanadischen Grand Prix 1984 in Montreal verwickelt war. Dort traf er auf einen italienischen Reporter, „der Lügen über mich verbreitet hatte.“ Erst nach zehn Jahren Zusammenlebens auf Probe hatte Michele Alboreto seine Nadia Astorri 1983 geheiratet, er war Vater zweier Töchter, Noemi und Alice, geworden.

Als aufmerksamer, konzentrierter Zuhörer, der zudem präzise Aussagen formulieren konnte, machte er sich die Ingenieure zu Freunden. Er war ein sehr fähiger Testpilot, der in den Rennen einen ruhigen, sauberen und erfolgsorientierten Fahrstil pflegte. Dass er seinen ersten beiden Grand Prix-Siege auf dem Tyrrell-Ford in amerikanischen Städten zwischen Mauern errang, mag als zusätzliches Indiz dafür gelten, dass er Zentimeterarbeit beherrschte. Fünf Jahre lang, von 1984 bis 1988, länger und durchaus erfolgreicher als viele andere Italiener, fuhr er für Ferrari in der Formel 1, ohne je ein Schriftstück darüber unterzeichnet zu haben. „Ich habe überhaupt keinen Vertrag mit Ferrari“, gestand er 1985 einmal. „Verträge habe ich mit meinen Sponsoren. Mit dem alten Herrn habe ich nur eine mündliche Abmachung. Ich habe sein Wort, und er hat mein Wort. Einen Vertrag mit ihm braucht man nicht.“

Michele Alboreto konnte ein abgeschlossenes Ingenieurstudium vorweisen

Michele Alboreto stammte aus gutsituierten Familienverhältnissen. Der Sohn einer Libyerin und eines Textilkaufmanns aus Mailand kam in den Genuss vornehmer Erziehung und qualifizierter Schulbildung. Er schloss ein Ingenieurstudium ab und wurde ein Experte auf dem Gebiet der Motorentechnik. Mit Geld von zu Hause aus startete er 1976 seine Rennsportkarriere in der Nachwuchskategorie Formula Monza und erwies sich der Investitionen von Beginn an als würdig. Da die familiären Fördermittel begrenzt waren, musste er zunächst seine Lehrzeit in der Einsteigerformel um ein Jahr verlängern, schloss diese zweite Saison aber bereits als Meisterschaftsdritter ab. Erste, kleinere Sponsoren fanden sich ein, der Aufstieg in die nächstschnellere Formula Italia mit Fiat-Abarth-Motoren bot sich an. Hier gewann er sein erstes Rennen und kam in der Jahresbilanz erneut unter die ersten Fünf. Bei seiner Formel-3-Premiere in Magione zum Saisonschluss 1978 stellte er sich als Vierter nicht minder geschickt an.
In den nächsten beiden Jahren wuchs er zu einer europäischen Formel-3-Größe heran. 1979 wurde er italienischer Vize-meister auf einem March-Toyota, ehe er mit dem halboffiziellen March-Alfa Romeo im Europameisterschaftskrimi von 1980 nach hart ausgefochtenen Sträußen mit Thierry Boutsen, Corrado Fabi und Mauro Baldi – im Schlusslauf letztlich das beste Ende für sich hatte, er war Europameister. Inzwischen waren nach seinem zweiten Platz im Formel-3-Grand Prix von Monaco auch die Formel-1-Bosse neugieriger geworden, während er in der Markenweltmeisterschaft als Lancia-Werksfahrer auf dem Beta Montecarlo Gruppe 5 bereits gekonnten Umgang mit 400 PS demonstrierte.

Michele Alboreto ging durch die Tyrrell-„Schule“: zwischen Poltern und Pädagogik

Für 1981 war er zunächst als Formel-2-Pilot bei Minardi und beim Sanremo-Racing-Teams des wohlhabenden Alberto Colombo im Gespräch, der selbst als Aktiver noch 1978 – bei ATS – bis in die Formel 1 vorgedrungen war. Alboreto hatte Probleme Geld aufzutreiben, wurde schließlich aber bei Minardi auch so akzeptiert. Dann erhielt er plötzlich die Chance seines Lebens, weil nach dem Rückzug von Hauptsponsor Candy (Elektrogerätefabrikant aus Brugherio/Lombardei) auch Ken Tyrrell auf der Suche nach jeder müden Mark war und seinen zweiten Formel-1-Wagen notgedrungen von Rennen zu Rennen vermieten musste. Beim Nicht-WM-Lauf in Südafrika hatte die einheimische Desiré Wilson das Auto bekommen, im kalifornischen Long Beach der Indycar-Pilot Kevin Coogan, und bei den beiden südamerikanischen Grand Prix saß der Argentinier Ricardo Zunino hinter dem Lenkrad. Anfang Mai, zum Grand Prix von San Marino in Imola, kaufte ein italienischer Keramik-Produzent das Cockpit des Tyrrell 010-Ford für Michele Alboreto, der ihn bis zum Saisonende 1981 pilotierte. es jeweils zu Grand Prix-Siegen gebracht, ebenso war Didier Pironi bei ihm geformt worden. Michele Alboreto, der von Haus aus schon durch seine Abgeklärtheit gewann, wurde hier mit viel Geduld an der lange Leine geführt – und ein weiterer Ausbildungserfolg.

Von Enzo Ferrari signierte Autobiographie

Nach einigen Mittelfeldplatzierungen in der Saison 1981 schob er sich 1982 nachdrücklicher ins Rampenlicht und ge-wann am 25. September auf dem Park-platzkurs des Cesars Palace-Hotels in Las Vegas im Letzten Lauf des Jahres seinen ersten Grand Prix. Da schickte ihm Enzo Ferrari ein signiertes Exemplar seiner Auto-biografie, ein erster Wink. Als im Nerven-krieg der Fahrerweltmeisterschaft 1983 im vorletzten Lauf in Brands Hatch die beiden Ferrari-Piloten René Arnoux und Patrick Tambay sämtliche Titelchancen durch Ausflüge ins Gelände verloren, hatte auch die nimmermüde Spaghetti-Presse ihr Ziel er-reicht. Der herbei geschriebene Wechsel Alboretos auf das „springende Pferd“ zum Ruhme Italiens war perfekt. Tambay, der im Schlussklassement schlechter platzierte Ferrari-Pilot, musste gehen. Elf Jahre nach Arturo Merzario gab wieder ein Italiener dem Ferrari die Sporen und nahm eine Bürde ungeheurer Verantwortung auf sich. „Es ist nicht leicht, für Ferrari zu arbeiten“ Und darunter waren nicht selten gerade die Italiener in den Cockpits zusammen-gebrochen. Eugenio Castellotti 1957, Lui-gi Musso 1958 und Lorenzo Bandini 1967 jeweils tödlich verunglückt fuhren sich um Kopf und Kragen. Giancarlo Baghetti wurde wegen Beteiligung an der „Palastrevolution“ 1962 mit gefeuert, und auch Lodovico Scarfi otti schied 1967 im Zwist. Michele Alboreto begann aber auch optimal: Als sechster Italiener im Ferrari nach Ascari (1951), Taruffi (1952), Bag-hetti (1961), Bandini (1964) und Scarfi otti (1966) gewann er, schon im Mai 1984, im belgischen Zolder einen Grand Prix und rechtfertigte dabei mit glänzendem Start-Ziel-Sieg noch einmal nachdrücklich seine Nominierung. Dass er die Weltmeister-schaft als Vierter beendete, stempelte ihn bereits zum Mitfavoriten für 1985.

Über Zweidrittel der Folgesaison war Alboreto dann Gegner Nummer eins für Alain Prost im McLaren-TAG-Porsche, ab-solut ebenbürtig im WM-Titelduell. In den ersten zehn Läufen addierte er mit acht Podiumsplatzierungen 50 WM-Punkte, ge-nauso viele wie Prost. Der Italiener siegte

Unter der Menschenführung des hünenhaften Ken Tyrrell, zwischen Poltern und Pädagogik, stand auf dem Weg zur Reife schon so manches fahrerische Talent stramm. Jacky Ickx war in seine „Schule“ gegangen und zweifacher Formel-1-Vi-zeweltmeister geworden. Die Franzosen Francois Cevert und Patrick Depailler hatten seine Predigten anhören müssen und in Kanada und trieb als betont gelassener Spitzenreiter den energisch attackierenden Franzosen am Nürburgring in einen Fahrfehler – zweiter Saisonsieg für Alboreto. Dann verließ ihn die Technik. Ein Motor-schaden, zwei Turbodefekte, ein Kupplungs- und ein Getriebeschaden sorgten im letzten Jahresdrittel für fünf „Nuller“ hintereinander, und Champion Prost war „home and dry“. Alboreto konstatierte da schon früh: „Es ist nicht leicht für Ferrari zu arbeiten. Ferrari ist ein ganz besonderes Team, und besonders für mich als Italiener ist der Druck enorm groß. Das Team hat weit mehr Große Preise gewonnen als ich. Wenn es Unstimmigkeiten gibt, denke ich deshalb oft: Wahrscheinlich haben die recht und nicht ich.“

Wie Michele Alboreto bei Ferrari in Ungnade fiel

So früh Ferrari 1981 als zweiter Hersteller nach Renault mit Turbofahrzeugen konkurrenzfähig war, so bald geriet die Scuderia in der zweiten Hälfte der 80er Jahre gegen die entsprechenden Konstruktionen von McLaren und Williams in die Defensive. Die Triebwerke aus Maranello konnten von der Leistung her nicht mehr ganz mit-halten gegen die Exponate von Honda, vor allem aber mangelte es den Ferrari an Zuverlässigkeit. In den Jahren 1986 und 1987 kam Alboreto in den 16 WM-Läufen jeweils nur viermal zu Punkten, 60 Prozent aller Defekte 1986 entfielen auf den Sek-tor Motor/Turbolader und kosteten allein in dieser Saison etwa 16 Punkte. Parallel dazu erwuchs dem Italiener in den Jahren 1987 und 1988 mit dem Österreicher Ger-hard Berger ein unangenehmer Konkur-rent im eigenen Team, der auch unter den jetzt gegebenen Bedingungen mit Grand Prix-Siegen bewies, was eigentlich doch noch möglich war. In dieser Situation und Phase fi el Alboreto dann mit einem undiplomatischen Interview in einem italienischen Automagazin bei Ferrari in Ungnade und wurde zum Saisonende 1988 gegen den Briten Nigel Mansell ausgetauscht.

Bei Top-Teamchefs aus den Augen verloren

Es folgte in der Formel 1 ein Abstieg auf Raten. Michele Alboreto begann die Saison 1989 bei seinem Entdecker Ken Tyrrell und kam auch schnell zu sechs WM-Punkten. Dann gewann Tyrrell die Zigarettenmarke Camel als Sponsor, eine Interessenkollision mit Marlboro als persönlichem Alboreto-Sponsor beschwor Differenzen und die Trennung in laufen-der Saison herauf. Alboreto konnte das Jahr auf dem Lola-Lamborghini der Ecurie Larrousse beschließen, kam aber nicht auf nennenswerte Ergebnisse. Die nächsten drei Jahre im Footwork-Arrows-Team waren eine verlorene Zeit, die Wa-gen waren nie so recht konkurrenzfähig, die phasenweise Kooperation mit Porsche war ein handfester Schlag ins Wasser. Oft kämpfte Michele Alboreto darum überhaupt für die Rennen qualifi ziert zu sein, die Teamchefs namhafter Rennställe verloren ihn aus den Augen. Am Schluss konnte er seine Präsenz in der Formel 1 nur noch in zweitrangigen italienischen Teams wie Scuderia BMS oder Minardi sicherstellen. Der Todessturz Ayrton Sennas
in Imola 1994 war ihm dann Anlass genug sich zum seinerzeitigen Saisonende in andere Fahrzeugkategorien zurückzuziehen.

Zum Ende seiner Karriere fuhr Michele Alboreto mit Alfa Romeo in der DTM

Für ein Jahr wechselte er in die Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) hinter das Lenkrad eines Alfa Romeo 155 TI V6, kam aber nicht besonders gut damit zurecht. Weitaus besser aufgehoben war er in sehr schnellen Rennsportwagen. So glänzte er 1995/96 in der amerikanischen IMSA-Serie mit dem Ferrari 333 SP, ehe er beim 24h-Rennen von Le Mans 1997 am Steuer eines Jöst-Porsche Spyder K8 an der Seite von Stefan Johansson und Tom Kristensen mit dem Gesamtsieg sein Können auch in Europa noch einmal in Erinnerung brachte. Und so warf schließlich Audi zur Verstärkung des dortigen Fahrer-Kaders für die LMP-Rennsportwagen ein Auge auf ihn. Alboreto „dankte“ die Verpflichtung den Ingolstädtern mit stetig besseren Rennergebnissen – Vierter 24h Le Mans 1999, Dritter 24h Le Mans 2000 sowie jenseits des „großen Teiches“, in der American Le Mans Series, dann Siege beim „Petit Le Mans“ in Road Atlanta 2000 und bei den 12h Sebring 2001. Alles lief wieder bestens für ihn, als er am 25. April 2001, begleitet von einigen Audi-Ingenieuren, Testfahrten mit dem Audi R8 auf dem Lausitzring absolvierte. Am späten Nachmittag gegen 17.30 Uhr beschleunigte er gerade wieder den Wagen auf einer der beiden langen Geraden auf rund 300 km/h, als der linke Hinterreifen platzte. Der Audi R8 hob ab, flog über die Leitplanken und schlug auf mit den Rädern nach oben – Michele Alboreto war sofort tot. Eine Untersuchung ergab als Ursache einen allmählichen Druckverlust aufgrund einer verlorenen Schraube, die ihren Weg in den Reifen gefunden hatte.

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Fotos: Wolfgang Wilhelm, Archive Ferrari, Alfa Romeo, Audi, Jochen von Osterroth; Erich Kahnt, Erich Müllender