Herzlichen Glückwunsch Bü
Das stattliche Gebäude am Rand der Altstadtmauern aus dem Mittelalter, mit direktem Blick auf die Gleise des Bahnhofs, bot dem jungen Werner Ausblick auf die Trassen der SBB (Schweizerische Bundesbahn), wobei ein Gleis auch von der DB befahren wurde – Linie Singen-Schaffhausen-Waldshut-Lörrach, den Rhein entlang. Logisch, dass der kleine Bü schon früh den Beruf eines Lokomotivführers zum Ziel hatte.
Dieser Plan änderte sich allerdings schlagartig, als im Frühjahr 1947 das nahe am Schulweg gelegene Autohaus Rampinelli den neusten Oldsmobile von GM aus den USA präsentierte: eine traumhafte, weinrot lackierte, zweitürige Fließheck-Limousine mit viel Chrom, nach den Kriegswirren und langer Abstinenz in allen Belangen eine Offenbarung. Die Verlängerung des Schulweges wurde von „Klein Bü“ zwecks Vorbeimarsch am Olds gerne in Kauf genommen. Und damit war auch die Vorliebe des Jungen, Eisenbahnen in allen Varianten zeichnerisch darzustellen wie auch Lokführer zu werden, ad acta gelegt und wurde durch Zeichnungen des weinroten Olds – und mehr und mehr auch anderer Automodelle ersetzt beziehungsweise erweitert. Überhaupt wurde klar, dass dem Jungen in der Schule die Zeichenstunden um ein Vielfaches wichtiger waren als beispielsweise Mathe oder Geschichte…
Zum Glück zeigte der Pädagoge im Zeichenunterricht Verständnis und verschonte Bührer vom Abzeichnen verwelkter Blumengebinde, denn er durfte sich mit der Darstellung von Fahrzeugen aller Art beschäftigen, was alsbald dazu führte, dass kleinste Fetzen unbedruckten Papiers mit Skizzen und Entwürfen neuer – bisweilen utopischer – „Car-Designs“ bekritzelt wurden. Dass das Zeichnen – neben dem Musizieren – zum dominanten Faktor in Bü’s Entwicklung wurde, zeigte sich in densemestralen Benotungen im Zeugnis: Mathe und Geschichte 2-3 (bei einem Bestwert von 6), Zeichnen, Sprachen und Musik 5 bis 6 – na also, haben wir’s doch!
Mit zunehmendem Schulalter äußerte Werner Bührer bei einem tiefgreifenden Elterngespräch den Wunsch, eine Lehre als Automechaniker in Angriff nehmen zu dürfen, was von der Obrigkeit mit einem klaren „Kommt nicht in Frage!“ abgelehnt wurde, Zitat: „Du gehst ins Gymnasium, machst Abitur, um anschließend ein Studium an der ETH in Zürich zu absolvieren; dann wird dir dein Vater dank seiner Stellung und Beziehungen einen Job in der Schaffhauser Industrie verschaffen, ist das klar?!!“ Zum ersten Mal versank für Bü eine Welt in Trümmern, Schutt und Asche. Nach viel Zuspruch seiner Freunde nahm jedoch die Einsicht Überhand, wenigstens den Gedanken an eine Automechaniker-Lehre zugunsten Gymnasium und Matura endgültig aufzugeben. Ein paar Jahrzehnte später bedankte sich Bü bei den Eltern für die Weichenstellung in Richtung akademischer Ausbildung.
Nach Abitur und dem obligatorischem Militärdienst in der Schweiz, die 17 Wochen dauernde Rekrutenschule, folgte der lang ersehnte Exodus aus dem wohlbehüteten Nest „Schaffhausen“ in Richtung Ulm an die Hochschule für Gestaltung – und das mit wohlwollender Unterstützung durch den elterlichen Segen – ein bewundernswertes Entgegenkommen seiner Eltern, für das er zeitlebens dankbar sei.
Das Studium an der HfG in Ulm und das Ziel, in der Autoindustrie als Designer einen lange ersehnten „Superjob“ zu finden, rückten für Bü nunmehr in greifbare Nähe: Praktika bei Porsche im Konstruktionsbüro Karosserie in Zuffenhausen, persönliche Kontakte unter anderem mit F.A.“Buzzi“ Porsche, Jazz als Saxofonist an Wochenenden in den US-Kasernen rund um Stuttgart, interessante Bekanntschaften und nach dem Diplom als Produktgestalter die erste Anstellung als Designer in Baden-Baden – das erste, selbst verdiente Geld, die damit verbundenen Entbehrungen, um vom monatlich Gesparten ein eigenes Auto kaufen zu können, welches sich nach einem Jahr in Form eines roten NSU Sportprinzen verwirklichen ließ. Bü wähnte sich im Himmel des Glücks.
1962 folgte der Sprung nach Köln ins Styling-Center von Ford, daselbst ein Paradies für Bü, wo er in Bezug auf Darstellungstechniken von den Arbeitskollegen so viel lernen – und auch selbst praktizieren – konnte, dass für ihn mehr und mehr Wunsch und Gewissheit wuchsen, die zeichnerischen Fähigkeiten weiteren Kreisen zugänglich machen zu wollen. Sprich: Der nächste Schritt war, Kontakte zur Fachpresse zu knüpfen, um letztendlich mit publiziertem Material den Veranstaltern von Grands Prix zu beweisen, dass Bü durch die Vergabe eines Presse- und Fotografenausweises Zutritt zu den Boxen ermöglicht werden sollte.
Das alles hat wie am Schnürchen geklappt, und die Folge war eine teilweise langjährige Zusammenarbeit als „Freelance Illustrator“ für Fachzeitschriften in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich, Italien und den USA.
Selbst in einer Zeitschrift in Argentinien fand man BüIllus. Allerdings wartet Bü hier nach 30 Jahren noch immer auf das ihm zugesagte Honorar…
Bührer hatte seine an der HfG erworbenen Fachkenntnisse als Industrie-Designer parallel zu den Auto-Illus aber auch Firmen in der Schweiz zur Verfügung gestellt, Unternehmungen, deren Produkte wenig mit Autos gemeinsam hatten. Dabei zeigte es sich, dass Designer aus der Autobranche durchaus in der Lage sind, auch beispielsweise bei der Gestaltung medizinischer Analyse- und Peripheriegeräte wertvolle Erfahrungen, technisches Know-how und formales Feingefühl erfolgversprechend in Projektentwicklungen einfließen zu lassen.
Anyway, die Jahre gingen ins Land, und die Ruhe endete im Jahr 2008 abrupt, als bei Bü ein Telefonanruf aus Bonn den Blutdruck akut in die Höhe trieb: „Hier Michael Thier, wir planen eine Zeitschrift namens powerslide – für Sie kein Neuland -, hätten Sie Lust, und können oder wollen Sie auch…beispielsweise Illustrationen aus Ihrer Zeit…und, und, und…“
Der Rest ist bekannt und bedarf keiner weiteren Erklärung. Alles klar?