Mille Miglia

Viel zu wertvolle Autos, viel zu große Namen, viel zu lange Nächte und viel zu viel geknittertes Metall – es war wieder Mille Miglia. Das Rennen, das eigentlich keines mehr ist, ist heute so schnell, als wäre es eines. Deshalb fasziniert es noch immer – vor allem Teilnehmer und Italiener.
Autor: am Curbs Magazine » Racing » Mille Miglia

Tour der Leiden

Womit beeindruckt man einen Mann, bei dem 128 eigene Autos in der Garage stehen? Der als einer der größten Talker aller Zeiten nahezu alle Stars dieser Welt bequatscht und das Publikum unterhalten hat, ohne seine Gegenüber bloßzustellen? Der tonnenschwere lange Kit-Car-Ungetüme aus den 20er Jahren beim Concours de’Elegance in Pebble Beach ungestraft über den heiligen Rasen am 17-Mile Drive fahren darf?

Die Antwort ist einfach: mit einem Platz am Steuer bei der Mille Miglia. Jay Leno, US-TV-Legende und bekennender Auto-Nerd, steigt etwas irritiert aus dem 51er Jaguar XK120 Ecurie Ecosse Roadster, dem einzigen Überlebenden von drei gebauten Wagen für das schottische Rennteam. Wir sind irgendwo kurz hinter Rom, die weißen Haare der Fernsehlegende stehen Comicmäßig nach oben, der Fahrtwind hat ihm eine ganz besondere Frisur verpasst. Mit Mühe schält er sich aus dem engen Cockpit des 700.000-Euro-Unikats, er ist ja nicht gerade zierlich gebaut. Da hat es sein Navigator Ian Callum schon einfacher: Der Jaguar-Chefdesigner ist nicht nur etwas kompakter, sondern auch noch gewohnt, sich in solchen Autos fortzubewegen.
„Es ist echt zum Fürchten,“ resümiert Leno, „hier bleibt man die ganze Zeit auf dem Gas, und wenn man bremsen muss, schüttelt sich das ganze 60 Jahre alte Auto. Und ich musste erst lernen, auch bei Speed-Cameras auf dem Gaspedal zu bleiben…“ Aber er weiß genau, was er macht: „Es ist ja kein wirkliches Rennen, und meine Platzierung ist mir egal. Wenn man stets an seine Verantwortung denkt, kann man durchaus schnell fahren und Spaß haben.“

Es ist Ausnahmezustand – manche nennen es auch Mille Miglia. Erstmals vier statt drei Tage jagten sich in diesem Jahr die reichsten, berühmtesten und schrägsten Typen in unglaublich teuren Oldtimern knapp 1.700 Kilometer von Brescia nach Rom und zurück, Leno geht mit großem Respekt ins Race – aber was heißt hier „Rennen“? Eigentlich ist es eine Gleichmäßigkeitsfahrt, allerdings ist das einzige, was gleichmäßig ist, die Tempozunahme von Stunde zu Stunde auf den öffentlichen Straßen, die ¬– zum Glück – von einem öffentlichen Verkehr befahren wird, der weiß, dass wieder einmal Ausnahmezustand ist.

„Das ist hier schon recht gefährlich,“ sagt Leno, in dessen Heimatland man für die Menge, Dauer und Intensität von Verkehrsverstößen, die hier jeder Teilnehmer begeht, mindestens 25 Jahre in den Bau wandern würde. Aber kann man einem italienischen Cop, der trotz 80 km/h in der Fußgängerzone per Handzeichen zum Tempomachen auffordert, enttäuschen? Sollte man dem Motorradpolizisten, der mit Blaulicht und Sirene Platz schafft für das Teilnehmerfeld, nicht so nah wie möglich folgen, weil Tage bis zu 17 Stunden im Auto schon heftig genug sind? „Die Mile Miglia ist wohl die einzige Möglichkeit, mit einem Klassiker auf öffentlichen Straßen schneller zu sein als mit modernen Autos“, wundert sich Leno – und denkt nach. Es scheint, dass dem Talker die Worte fehlen für so eine Veranstaltung.


451 gemeldete Autos, 430 gestartete Autos, rund 400 angekommene Autos – noch nie zuvor raste ein derartig langer und hochwertiger Konvoi durch Italien – von der BMW Isetta bis zum Aston Martin DBR. 2.Stärkste Fraktion: Insgesamt 27 MERCEDES-BENZ 300 SL


Am Ziel einer weniger, weil Autovermieter-Sohn Sixt Junior das etwa 800.000 Euro teure Stück an einem kleinen BMW zerstörte. Apropos zerstören: Auch der sechs Millionen Euro teure, 370 PS starke Long-Nose-D-Type mit Bruno Senna am Steuer und Copilot Martin Brundle sah das Ziel nicht unversehrt. Ein übermütiger Fahrer in einem begleitenden Jaguar F-Type unterschätzt den kurzen Bremsweg des D-Type und verformt dessen Aluminiumheck nachhaltig. Doch der Vollprofi fängt das schlingernde und vorletzte Exemplar seiner Gattung sofort ab und setzt seine Fahrt mit leicht verbogenem Aluminium hinten rechts fort.

Aber nicht nur Jaguar holte seine Schätze aus dem Museum. Ebenso zum Beispiel Alfa Romeo: Die Italiener (elf Gesamtsiege in der klassischen Mille Miglia und damit Rekordsieger) feierten ihr Jubiläum mit dem Start eines Tipo 6C 1750 Super Sport (das Auto des ersten Mille-Sieges für Alfa im Jahr 1928 mit Giuseppe Campari und Giulio Ramponi), eines 6C 1750 Gran Sport (Sieger 1930 mit Tazio Nuvolari und Giovanni Battista Giudotti), die erstmals eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 100 km/h schafften), und eines Tipo 2000 Sportiva von 1954. Aufgrund des 60. Jubiläums der Giulietta fuhr auch noch ein früher Prototyp der Giulietta Sprint als offizielles Begleitfahrzeug.

Edle Autos werden bei der Mille üblicherweise mit Promis besetzt, wie zum Beispiel Bentley- und Bugatti-Chef Wolfgang Schreiber (im Bentley 4.5 Liter), Ex-Opel-Chef Carl-Peter Forster (im BMW 328), Rennfahrer Bernd Schneider (im Mercedes 220 A), Wolfgang Porsche (im Porsche 356 1500 Speedster), Jacky Ickx und Karl-Friedrich Scheufele (im Porsche 550 Spyder RS), Klaus Ludwig (im Mercedes 300 SL) und Hollywood-Star Jeremy Irons (im Jaguar XK 120). Letzterer allerdings gab nach eineinhalb Tagen – mitten in der 720-Kilometer-Etape – entnervt auf und zu, dass er die Tour doch etwas unterschätzt habe. Allerdings war nicht nur der Hollywood-Mime am Ende mit den Nerven – in Bologna waren auch andere nahe dran, alles hinzuwerfen – wie Vater und Sohn Dombrowski im winzigen Fiat 750 Sport von 1958. „Differenzial kaputt, keine Ansprechpartner, und eine viel zu lange Etappe“, sagt Fahrer Sascha. Das Vater-Sohn-Team wurde allerdings die nächsten Tage auch wieder gesehen.

„Fucking aufgeben gilt nicht“, widerspricht Brian Johnson, Frontmann der stets unter Strom stehenden Band AC/DC, der bis zum Schluss im Jaguar C-Type durchhält. Auch wenn er einmal nachts nach einem Plattfuss ein Taxi ruft, das ihn ins Hotel bringt, und die Jaguar-Crew den Wagen reparieren muss. Trotzdem: „Ich bin zum ersten Mal dabei, und ich muss sagen: Die Mille ist der Traum jedes Mannes, das hier ist echt fucking good. Ich bin zwar ein fucking dinosaur, aber das hier macht mehr fucking Spaß als alles andere“, sagt Johnson, der tatsächlich so redet, weswegen wir ihn hier so zitieren.

Der rennstreckenerprobte Australier hatte sich allerdings vorher Tipps geholt von anderen prominenten Drivern wie Ex-Formula 1-Racer Martin Brundle, Ayrton-Neffe Bruno Senna und Le-Mans-Sieger Andy Wallace. „Und alle haben gesagt: Watch out for germans…“ Und dann erzählt er unnachahmlich von seinem „fucking fight“ mit einem schwarzen Porsche 356 Speedster. „Aber einen kann man nicht überholen, diesen fucking guten Jochen Mass im 300 SL …“ Na ja, und so ein Jaguar ist eben doch etwas anderes als sein Lieblingsauto (64er Mini Cooper RS), auch wenn er noch unter anderem einen 28er Bentley, einen Rolls-Royce Phantom, einen 65er Lola T 70 und einen Porsche 914/6 in er Garage hat.

Siegen kann so gut wie kein Promi – das ist den (meist italienischen) Gleichmäßigkeitsprofis vorbehalten. Wie auch dieses Mal: Ganz oben auf dem Treppchen standen Giordano Mozzi und Stefania Biacca, die im Lancia Lambda tipo 221 Spider Ca.Sa.Ro von 1928 die wenigste Strafzeit kassierten.
Und wie resümiert Jay Leno? „Jedes Land hat etwas Einzigartiges: In Deutschland sind es die Autobahnen ohne Tempolimit, in Amerika ist es das Herumballern mit Schusswaffen – in Italien ist es die Mille Miglia…“