Weg Weiser
Als die FIA in Paris nach fünf Jahren Formel 1 mit maximal 1,5-Liter-Saugmotoren zu Beginn 1966 die Dreiliter-Formel 1 einführte, erwischte sie Lotus-Boss Colin Chapman auf dem falschen Fuß – er hatte sie nie gewollt. „Ich hatte gehofft, man würde die Anzahl der Zylinder begrenzen, acht Zylinder hätte das Maximum sein müssen“, offenbarte er seinerzeit dem britischen Motorsport-Journalisten Richard Garrett. „Wenn jetzt Honda und BRM mit zwölf und 16 Zylindern kommen, kann man nicht behaupten, dass das Serienfahrzeug noch vom Formelwagen profitieren kann.“ Chapman, mit dessen Lotus-Climax V8-Versionen Jim Clark in der Eineinhalbliter-Ära zweimal Formel-1-Weltmeister geworden war, schluckte „die Pille aus Paris“ mühsamer, behalf sich an der Front bis weit in die Saison 1966 hinein zunächst mit aufgebohrten Zweiliter-Climax-Triebwerken im Lotus 33 für Star-Pilot Jim Clark. Da fehlten zu den Dreiliter-Aggregaten der Konkurrenz mindestens 50 PS, was Clark nur auf ausgesprochen kurvenreichen Strecken durch sein Fahrkönnen noch in etwa ausgleichen konnte, zumeist nur in den Trainingsläufen, die Rennergebnisse wurden von Ausfällen dominiert. Parallel setzte Lotus auch einen Typ 42 mit gekauftem Dreiliter-BRM H16 Zylinder unter Peter Arundell ein, aber dieser komplizierte, nominell sogar 400 PS starke Motor wog allein nicht weniger als rund 230 Kilogramm, wodurch das Wagengewicht des Lotus 42 bei rund 720 Kilogramm herauskam – schon von der Papierform her nicht wirklich konkurrenzfähig. Der einzige Grand Prix-Sieg Jim Clarks 1966 dann mit diesem Auto in den USA war noch durch Konkurrenz-Ausfälle begünstigt.
Zu diesem Zeitpunkt war Colin Chapman hinter den Kulissen aber längst sehr umtriebig gewesen. Er pflegte beste Beziehungen zu Ford, für die er heiße und erfolgreiche Renntourenwagen auf Basis des Ford Cortina auf die Räder stellte, und zur Rennmotoren-Schmiede Cosworth, mit deren Triebwerken er seit Jahren seine Formel Junior-, dann Formel-2- und Formel-3-Lotus ausrüstete. Chapman überzeugte Walter Hayes, Direktor für Public Relations bei Ford of Great Britain, davon, in die Entwicklung eines Dreiliter-F1-Motors zu investieren, was ihm insofern leichter fiel, als Hayes seit Amtsübernahme bei Ford 1962 innerhalb des Konzerns nicht müde wurde, den Motorsport als imagefördernd zu propagieren. Nachdem Henry Ford II. in Detroit seinen Segen erteilt hatte, bot Walter Hayes Keith Duckworth – ehemals Getriebe-Ingenieur bei Lotus – und Mike Costin, den Inhabern von Cosworth, 100.000 britische Pfund für die Übernahme des Entwicklungsauftrages an. Sie akzeptierten unter der Bedingung, dass man sie in Ruhe arbeiten ließe, denn zu diesem Zeitpunkt stand bei Cosworth gerade auch noch die Entwicklung des neuen 1,6-Liter-Triebwerks für die Formel 2 ab 1967 an. Im Juni 1966 war der Vertrag beiderseitig unterzeichnet, der die Konstruktion von Ford-Motoren für die Formeln 1 und 2 sowie auch das Tuning für die Ford-Serienproduktion beinhaltete. Die Fertigstellung des F1-Motors, den Chapman im ersten Jahr exklusiv erhielt, war für Mai 1967 geplant.
„Wir haben lediglich versucht, auf die gleiche Leistung wie die anderen Konstrukteure zu kommen“
Colin Chapman wünschte sich einen leichten, im Fahrzeugverbund mittragenden Dreiliter-Motor. Eine solche Konstruktion war seinerzeit für Cosworth schon eine sehr große Herausforderung, denn bis dahin hatte die Rennmotoren-Schmiede noch keinen Motor komplett selbst gebaut, sondern nur Triebwerke überarbeitet oder umgebaut, wohl aber bereits 1964 einen eigenen Zylinderkopf entwickelt. Duckworth und Costin entschieden sich für die Konstruktion eines 90 Grad-V8-Dreiliters aus zwei Zylinderblöcken und Leichtmetall-zylinderköpfen des 1966 für die Formel 2 entwickelten FVA-Motors mit vier Ventilen pro Zylinder und zwei obenliegenden Nockenwellen pro Zylinderbank, montiert auf ein neu entwickeltes Kurbelgehäuse – Typbezeichnung DFV für Double Four Valve, doppelter Vierventilmotor. Dabei erwies sich der in einem Stück gegossene Aluminiumblock als so verwindungssteif, dass er als tragendes Element im Chassis dienen konnte. Das Aggregat fiel vergleichsweise überaus kompakt und auch leicht aus, nur etwas über einen halben Meter lang, keine 70 Zentimeter breit und keine 170 Kilogramm schwer. Und in punkto Leistung lag der Motor mit 410 PS bei 9.000/min schon 1967 voll auf der Höhe der Zeit. „Wir haben lediglich versucht, auf die gleiche Leistung zu kommen wie die anderen Konstrukteure, nur mit einem leichteren und kürzeren Motor“, untertrieb Keith Duckworth beinahe die Cosworth-Fähigkeiten bei der Vorstellung des Triebwerks. „Damit konnte man nun auch den Wagen leichter und kürzer bauen.“
Mit diesem Auto konnte Lotus erst beim dritten Lauf zur Formel-1-Weltmeisterschaft 1967, dem Grand Prix Niederlande in Zandvoort, angreifen, aber es war sofort der Wagen, den es zu schlagen galt. Graham Hill, nach sieben Jahren für BRM (Weltmeister 1962) zu Lotus zurückgekehrt, markierte nach nur rund 30 Testrunden zuvor eine überlegene Trainingsbestzeit in Zandvoort, eine halbe Sekunde vor Dan Gurney im Eagle-Weslake V12. Jim Clark, dessen Lotus 49 vor Zandvoort noch keinen Meter gelaufen war, begann den Grand Prix verhaltener von Startplatz acht. Nach Hills Ausfall mit Ventilschaden im Rennen in Führung liegend setzte sich Clark hier dann aber gegen die Konkurrenz durch und siegte überlegen vor den Brabham-Repco des amtierenden Weltmeisters Jack Brabham und Denis Hulmes – Sieg von Auto und Motor gleich beim Debüt!Von da an stand bei jedem weiteren WM-Lauf 1967 ein Lotus 49-Ford Cosworth DFV V8 auf der Pole Position, und in jedem Rennen führte das Auto auch. Jim Clark gewann noch die Grands Prix von Großbritannien, USA (hier Doppelsieg Clark/Hill) und Mexiko, mehr Rennen als jeder andere in diesem Jahr. Dass es ihm und noch viel weniger Graham Hill, dem wohl größten Pechvogel des Jahres, dennoch nicht zum Titelgewinn reichte, lag an einer gewissen Unzuverlässigkeit der Konstruktion – Schaltung, Differenzial, Antriebswellen und wiederholt Aufhängungsbrüche, konsequenter wie fragiler Leichtbau. Durch einen Motorschaden verlor Graham Hill auch den Sieg im Grand Prix Italien in Monza.
Formel-1-Siege der Baureihe noch bis 1971 – und Titelgewinne in Südafrika
„Ich weiß, dass ich bei Brabham sicherer bin, weil Jack den gleichen Wagen fährt, aber ich will Weltmeister werden.“ So motivierte der aufstrebende Jochen Rindt seinen Wechsel in das Lotus-Werksteam 1969, wodurch hier das Fahrerteam wieder deutlich verstärkt wurde. Mehr noch als das kaufte Rindt vom Tempo her dem amtierenden Weltmeister Graham Hill eigentlich auch gleich den Schneid ab, stellte in fünf von elf Grands Prix den Lotus 49 B-Ford Cosworth V8 auf die Pole Position und insgesamt achtmal in die erste Startreihe. Aber auch er verlor 1969 drei mögliche Grand Prix-Siege durch Defekte – Gleichlaufgelenk in Zandvoort, linke Endscheibe des Heckflügels gelöst in Silverstone, ganz zu schweigen vom zweifelhaften Höhepunkt der Saison in Barcelona: Sowohl Rindt als auch Hill beide vornweg dem restlichen Feld erlitten innerhalb weniger Runden durch zusammenbrechende, noch hohe Heckflügel ausgerechnet bei Vollgas über eine Sprungkuppe an derselben Stelle schwere Unfälle. Verletzt musste Jochen Rindt im folgenden Monaco-Grand Prix, bei dem die hohen Heckflügel verboten wurden, pausieren. Diesen wiederum gewann Graham Hill, sein letzter Grand Prix-Sieg überhaupt und fünfter in Monaco, während der Lotus 49 B auch Jochen Rindt 1969 noch ein Trostpflaster bot –Sieg im mit 50.000 US-Dollar Siegprämie höchstdotierten Grand Prix des Jahres in den USA, Rindts erster Grand Prix-Sieg überhaupt.
Nur geringfügig modifiziert lief der Lotus 49 dann 1970 noch in einer C-Version, bis er im Werksteam bald und bei Rob Walker später im Jahr durch den revolutionären Lotus 72 abgelöst wurde, seine Tage waren gezählt. Einen kaum noch für möglichen gehaltenen Grand Prix-Sieg mit dem 49 C errang Jochen Rindt nach einer Hetzjagd auf den führenden Jack Brabham beim Grand Prix von Monaco 1970, als Letzterer beim Anbremsen der „Gasometer-Kurve“ in der letzten Runde geradeaus in die Streckenbegrenzung schlidderte und Rindt hinter ihm durchschlüpfte. Letzter Sieger in einem gekauften und privat eingesetzten Lotus 49 C-Ford Cosworth DFV V8 war der in England geborene Südafrikaner Dave Charlton 1971 in der südafrikanischen Formel-1-Meisterschaft, ehe er in jenem Jahr dort auch auf den Lotus 72 umstieg. Sowohl 1970 mit dem 49 C als auch 1971 mit beiden Modellen gewann er diesen Meistertitel.