Porträt Chris Amon Kein GP-Sieg in 96 WM-Läufen…

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Grand Prix Italien 1967, Monza: da schon Ferrari-Nummer-1-Pilot im Formel-1-Ferrari Tipo 312/67

Kaum ein Berichterstatter in Europa oder anderswo, der Chris Amon an den Rennstrecken näher kennenlernte, verzichtete darauf zu betonen, wie ausgesprochen sympathisch, freundlich oder nett er gewesen wäre. Er hätte sich unkompliziert, umgänglich und ansprechbar gezeigt, auch nach empfindlichen Nierderlagen, „und man würde ihm den Rennfahrer kaum abnehmen,“ so beispielsweise Eddie Guba 1972, „wenn er in Zivil bei einer Party auftauchen würde.“ Die Kombination von unbeschwerter Jugend auf dem Land in verträumter Ecke der Welt und erlerntem guten Benehmen nach strengen britischen Höflichkeitsmaßstäben produzierten Amons Haltung, für die er insbesondere nach moralischen Tiefschlägen oft bewundert wurde. Selbst dann noch stellte er in Seelenruhe den Helm beiseite und konnte seinen ganzen Charme in ein Lächeln legen, um einen Autogrammwunsch mit Aufmerksamkeit zu erfüllen. Die sentimentalen Augen in einem offenen Gesicht sollen nicht wenige Vertreter des weiblichen Geschlechts beeindruckt haben. Dass er nahezu ohne weitere Aufbauphase in Europa im Motorsport gleich oben anfing, formte seine Persönlichkeit zusätzlich rasch. Als stiller Star ohne Allüren, der mit gewisser innerer Distanz in den Rennwagen stieg, sachlich, nüchtern, wie jemand, der zur Arbeit ging, war er mitprägende Figur seiner Epoche. Als liebenswerter Pechvogel, dem immer mehr Konkurrenten heimlich den lang ersehnten Formel-1-Grand Prix-Sieg wünschten, spielte er die tragische Hauptrolle.


Seine glücklose Karriere im Grand Prix-Geschehen gehört längst zu den Sagen dieses Sports, er startete in 96 Formel-1-Weltmeisterschaftsläufen, 19 Mal aus der ersten Startreihe, aber die Schachbrettflagge passierte er im Formel-1-Rennwagen nur zweimal als Sieger – in zwei Nicht-WM-Läufen. So sehr auch in amateurphilosophischen Betrachtungen über diese demoralisierende Bilanz in Relation zum begnadeten Talent spekuliert wurde, Amons Pechsträhne in diesem Sport hatte nicht unbedingt System. Sie mag auch noch den Verfechtern der Theorie, es gäbe kein Pech, Rätsel aufgeben. Abgesehen von immer wieder addierten Randbegebenheiten zum Zweck der Ausschmückung ist Fakt, dass der Neuseeländer zwischen 1968 und 1972 vier vermeintlich sichere Grand Prix-Siege verlor. Nach drei Niederlagen im Ferrari hatte er bei Halbzeit des französischen Grand Prix in Clermont-Ferrand 1972 den Verfolger Jackie Stewart bereits unter Kontrolle, als er nach fabelhafter Leistung durch einen Reifenschaden auf einen vergleichsweise hässlichen dritten Platz zurückgeworfen wurde.

Mit 18 Jahren in einem da ehemaligen Formel-1-Wagen, dem Maserati 250 F, bei den Winterrennen in Neuseeland 1962


Über die Jahre hinweg ging die Kette der Misserfolge nicht spurlos an ihm vorüber. 1971 gab er offen zu, sich ausgelaugt und müde zu fühlen. Zeitweise rauchte er bis zu 40 Zigaretten am Tag. Er verlor viel Geld in privaten Unternehmungen wie Flugzeugverleih, Motorenfabrik oder Swimmingpools in Spanien, bestritt zusätzlich als BMW-Werksfahrer Tourenwageneinsätze, um mehr zu verdienen und sportlich außerhalb der Formel 1 zu Erfolgserlebnissen zu kommen. Der Anfang vom Ende wurde 1974 sein eigenes Formel-1-Projekt, das ihn finanziell auffraß und nach verspätetem Debüt in bereits laufender Saison sowie diversen Experimenten und Umbauten ohne Verbesserung der Rundenzeiten als technischer Fehlschlag abgehakt wurde. Schon die beiden Übersee-Grands Prix am Saisonende 1974 bestritt er als BRM-Werksfahrer.

Dritter im Grand Prix Monaco 1967, als der Teamkollege Lorenzo Bandini tödlich verunglückte
CanAm-Serie 1967 im Ferrari P4 C7


Sein letztes Geld steckte er 1975/76 in Mo Nunns hoffnungsvolles Ensign-Formel-1-Projekt und lief – trotz Nervenzusammenbruchs Mitte 1976 wegen drückender Schulden – fahrerisch noch einmal zur Topform auf. Im schwedischen Anderstorp stand er mit dem Ensign-Ford Cosworth V8 in der zweiten, in Brands Hatch in der dritten Startreihe. Einen Radbruch in Zolder auf Platz fünf liegend, einen Aufhängungsdefekt in Anderstorp auf Platz vier liegend sowie den Lauda-Unfall am Nürburgring deutete er schließlich als Winke des Schicksals und zog sich vom aktiven Motorsport zurück – nur um kurze Zeit später noch einmal „schwach“ zu werden: Er akzeptierte die Offerte des austro-kanadischen Millionärs Walter Wolf, im Williams FW 05-Ford Cosworth zum Saisonende 1976 die Grands Prix Kanada und USA zu fahren. Dann aber fiel er nach unverschuldetem Trainingsunfall in Kanada mit Sehnenverletzung ganz aus. Er startete dann noch einmal bei der Saisoneröffnung der CanAm-Serie 1977 im kanadischen St. Jovite, ging vom zweiten Startplatz aus ins Rennen, schied aber aus und kommentierte dann seinen endgültigen Rückzug vom Motorsport mit den Worten: „Ich habe jetzt einfach keinen Spaß mehr daran!“

Die Eltern beschlossen, sich auch seine Rennambitionen einiges kosten zu lassen
Für ihren am 20. Juli 1943 in Bulls geborenen Sohn Chris war das Beste gerade gut genug, fanden Ngaio Amon und seine Frau. Als wohlhabende Schafzüchter in Neuseeland konnten sie ihn auf die Privatschule Wanganui Collegiate schicken, wo er von ausgesuchtem Lehrpersonal zum Gentleman britischen Stils erzogen wurde. Als sich der „Gentleman“ anschließend weigerte, die landwirtschaftliche Hochschule zu besuchen, zeigten sich die Eltern weiter aufgeschlossen in ihrem Bestreben, dem Filius eine unbeschwerte Jugend zu bieten und eine frühe Entfaltung seiner Persönlichkeit zu fördern. Sie beschlossen, sich auch seine Rennambitionen einiges kosten zu lassen, ermunterten ihn sogar noch und hatten bald selbst Gefallen daran. Unter idealen Voraussetzungen also begann Chris Amon seine motorsportliche Karriere 1960 auf einem Austin A 40bei einem Tourenwagenrennen in Levin – und war gerade einmal 16 Jahre alt! Es kam auch zu einigen Einsätzen am Berg, aber der getunte Motor hielt kaum irgendwo länger als fünf Minuten. Das Scheckbuch des Vaters schaffte Abhilfe, der Austin wurde durch einen älteren Formel-2-Cooper-Climax ersetzt, was gleichzeitig für den Junior den Schwierigkeitsgrad erhöhte. Als der schon bei seiner Jungfernfahrt Zweiter wurde, war er der Stolz der Familie. Schon bei den Winterrennen 1962 in Neuseeland saß der 18-jährige Chris Amon in einem ehemaligen Formel-1-Rennwagen…

Erst der zweite nicht einmal 20-Jährige im Formel-1-Rennwagen
Dieser betagte Maserati 250 F war ein Gefährt mit Vergangenheit. Ausgeliefert schon 1954 an die „Owen Racing Organisation“, hatte damit Peter Collins 1955 die „Daily Express Trophy“ in Silverstone gewonnen. 1956 war Jack Brabham mit ihm bei Formel-1-Rennen in England gestartet, bevor das Auto nach Australien und schließlich an Amon verkauft wurde. In diesem Frontmotor-Veteran gegen fortschrittliche Mittelmotor-Übermacht versetzte Chris Amon auch Insider-Kreise in ungläubiges Staunen. Und obwohl er in der folgenden Saison in einem Cooper-Climax nicht ganz an diese Erfolge anknüpfen konnte, studierte Reg Parnell – ein regelmäßiger Besucher der Winterrennen auf dem fünften Kontinent – aufmerksam sein Talent und verpflichtete Amon Anfang 1963 für sein eigenes Formel-1-Team. Nach dem Mexikaner Ricardo Rodriguez in Monza 1961 (im Ferrari) war der unbekümmerte Farmerssohn aus dem Inselreich am Ende der Welt erst der zweite nicht einmal 20-Jährige im Formel-1-Wagen.


Amon debütierte brillant mit dem Parnell-Lola-Climax V8 beim belgischen Grand Prix in Spa-Francorchamps, war in strömendem Regen zeitweise Siebter bis zum Ausfall. Vier weitere Formel-1-Läufe im Premierenjahr schloss er mit Platzierungen zwischen fünf und sieben ab. Nach dem Tod des Vaters, im Januar 1964, übernahm Tim Parnell den Rennstall und tauschte die Lola-Fahrzeuge gegen Lotus-Fahrgestelle mit BRM-Motoren aus. Bald sah sich Chris Amon veranlasst, über das unzuverlässige Material und die Mechaniker zu schimpfen. Es kam zur Trennung, was dem Neuseeländer eine vorläufige Formel-1-Pause bescherte. Sein Landsmann Bruce McLaren fing ihn auf, verhalf ihm zu Gelegenheitsstarts in seinen hochkarätigen Rennsportwagen mit US-Achtzylinder-Power. Noch 1964 wurde Amon auch Ford-Werksfahrer auf der Langstrecke, 1966 triumphierte er gemeinsam mit Bruce McLaren im Siebenliter-Ford Mk II als Gesamtsieger der 24h Le Mans. In der Formel 1 gab er seltene Gastspiele auf Lotus-BRM und Cooper-Maserati, zog sich aber jeweils gekonnt aus der Affäre. Als Enzo Ferrari auf das Supertalent zuging, schien sich wirklich Großes anzubahnen.

Grand Prix Monaco 1970: erste Startreihe, aber Ausfall im March 701-Ford Cosworth V8

„Wenn Du während des Rennens die schnellste Runde fährst, wieso gewinnst Du dann nicht?“
Amons Jahre bei Ferrari 1967 bis 1969 waren ein Fulltime-Job, Formel 1, Formel 2, Rennprototypen auf der Langstrecke, CanAm-Serie in den USA. Nach drei Grands Prix in der Saison 1967, nach dem Todessturz Lorenzo Bandinis in Monaco, Mike Parkes‘ schwerem Unfall in Spa-Francorchamps und Lodovico Scarfiottis vorübergehendem Rückzug aus der Formel 1, war er – allein auf weiter Flur – Ferrari-Fahrer Nummer eins. Trotz seiner Jugendlichkeit kam er mit der Rolle besser zurecht als vor ihm der unglückliche Bandini. Mit zwei Siegen und einem zweiten Platz hatte er entscheidenden Anteil daran, dass der Titelgewinn in der Internationalen Markenmeisterschaft 1967 nach Maranello ging. Auch in der Formel-1-Weltmeisterschaft begann er mit einem vierten Schlussrang vielversprechend.

Etwas genervt, bis zu 40 Zigaretten pro Tag: Chris Amon 1971, hier in Zandvoort


Es blieb aber die besondere Tragik in Amons Karriereverlauf, dass er anschließend diese Anfangserfolge bei Ferrari trotz allen unzweifelhaften Könnens nicht mehr überbieten konnte. In der Formel 1 musste er schon in den nächsten zwei Jahren herbe Enttäuschungen verkraften, in Jarama 1968, in St. Jovite (Kanada) 1968 und in Barcelona 1969 verlor er drei Grands Prix stets kilometerweit in Führung liegend durch Benzinpumpendefekt, Getriebeschaden und Kühlwasserverlust jeweils noch in der Schlussphase der Rennen. Vor allem 1969, nachdem er im Winter auf dem Ferrari Dino 246-V6 bereits mit vier Siegen in sieben Rennen Tasman-Meister geworden war, erwies sich der Formel-1-Ferrari als so defektanfällig, dass Amon nur einen einzigen dritten Platz, in Zandvoort, verbuchen konnte. Wo er relativ knapp geschlagen wurde, wie von Jo Siffert im Rob Walker-Lotus in Brands Hatch 1968, sah er sich auch schon mit merkwürdigen Fragen des Ferrari-Ingenieurs Mauro Forghieri konfrontiert: „Wenn Du während des Rennens die schnellste Runde fährst, wieso gewinnst Du dann nicht?“

„Es scheint, als ob er seine Chancen nie reell abwägt und vorausplant“
Amon testete 1969 noch den neuen Ferrari 312 B mit dem 470 PS starken Zwölfzylinder für 1970, hatte aber da seinen Wechsel zu March längst beschlossen. Prompt gab es 1970 vier Ferrari-Grand Prix-Siege, Jacky Ickx und Clay Regazzoni wurden Vizeweltmeister und Dritter im Formel-1-Championat. Amon endete im March auf Platz sieben, konnte aber immerhin in Silverstone im Nicht-WM-Lauf „Daily Express Trophy“ sein erstes Formel-1-Rennen gewinnen – in dem es vergleichsweise allerdings um nicht wirklich viel ging. „Irgendwie war er auch immer selbst schuld an seinem schlechten Abschneiden“, notierte Jackie Stewart nach diesem Amon-Sieg in seinem Tagebuch. „Er hat ohne Zweifel Talent und geht mit Leidenschaft und Elan an die Sache, trotzdem hat er bis heute nie einen Grand Prix gewonnen. Einer der Gründe ist sicher seine schlechte Planung. Nach zwei Jahren bei Ferrari ging er gerade in dem Augenblick dort weg, als diese den Zwölfzylinder-Flachmotor herausbrachten, und anstatt das Angebot von McLaren anzunehmen, ging er zu March – einem damals noch völlig unbekannten Team. Es scheint, als ob er seine Chancen nie reell abwägt und vorausplant.“

Geld verdienen – Gesamtsieg im BMW 3.0 CSL, 6h Nürburgring 1973, gemeinsam mit Hans-Joachim Stuck


Von nun an lief er dem Erfolg hinterher, wechselte für 1971/72 zu Matra (weiterer Formel-1-Sieg in einem Nicht-WM-Lauf, 1971 im Grand Prix Argentinien in Buenos Aires). Da hatte March-Chefkonstrukteur Robin Herd gerade den „Servierbrett“-711 gebaut, mit dem Ronnie Peterson 1971 Formel-1-Vizeweltmeister werden konnte. Amon hingegen verlor noch einen weiteren Grand Prix durch Pech, bevor er sich mit zwei aufeinanderfolgenden Fehlentscheidungen beinahe völlig aus Geschehen und Geschäft brachte. Mit dem Tecno-Zwölfzylinder sammelte er 1973 nur drei mühsame WM-Punkte, während ihn der von ihm selbst konstruierte und unterfinanzierte Formel-1-Eigenbau 1974 fast an den Rand des Ruins brachte. In seinen letzten beiden Formel-1-Jahren bei Ensign 1975/76 profitierte dieses kleine Team wiederholt von talentvollen Darbietungen des Neuseeländers bis in die zweite Startreihe hinein. Ein mit viel Glück unverletzt überstandener Crash in Zolder 1976 aufgrund Materialdefekts und Niki Laudas schwerer Unfall auf dem Nürburgring im selben Jahr festigten allerdings seine Rücktrittsabsichten, die er letztlich 1977 in die Tat umsetzte.
Er übernahm die väterliche Farm in Neuseeland, auf der er mit Ehefrau Trish, einer Tochter und zwei Söhnen längere Zeit zurückgezogen und zufrieden lebte. Dann zog er sich Anfang der 80er Jahre aus dem Farmerleben zurück, testete Autos für eine Fernsehserie, wurde später auch Berater für Toyota Neuseeland, tunte diverse Toyota-Fahrzeuge zum Verkauf und erschien in TV-Werbespots für Toyota. 2004 gewann er die „EnergyWise Rally“ auf einem Toyota Prius. Anschließend war in die Konzeption der neuen „Taupo Motorsport Park“-Rennstrecke involviert. Beim „New Zealand Festival of Motor Racing“ 2011 wurde Chris Amon mit einer Demonstration von Rennfahrzeugen aus seiner Karriere besonders geehrt, und dann auch noch einmal 2013. Am 3. August 2016 verstarb er im Rotorua Hospital im Alter von 73 Jahren im Beisein seiner ganzen Familie inklusive Enkelkindern an Krebs.