Eine neue Ära in der Formel 1
Der 29. Oktober 1958 war für die Briten ein Festtag. Tony Vandervell nahm im Pariser Hauptquartier der Fédération Internationale de l’Automobile (FIA) für Vanwall den Pokal für das beste Team entgegen und Ferrari-Pilot Mike Hawthorn wurde als Formel-1-Weltmeister geehrt. Der britische Motorsport hatte sich inzwischen zu einer starken Macht in den Monoposto-Klassen entwickelt und die Zukunft versprach Großes. Am Ende sollte der Tag für die Teams von der Insel aber wenig Erbauliches bringen. Denn zur gleichen Zeit tagte in der französischen Hauptstadt die Oberste Internationale Sportbehörde CSI (Commission Sportive Internationale), die die Regeln im Motorsport festlegte. Unter dem Vorsitz von Augustin Pérouse, Mitglied im Präsidium des Automobile Club de France und Präsident des französischen Automobilsportverbandes FFSA, hatte ein siebenköpfiges Gremium in geheimer Klausur neue Bestimmungen zur Austragung der Formel 1-Weltmeisterschaft entwickelt und diese waren mit einer Stimmenmehrheit von fünf zu zwei verabschiedet worden. Und so wurde im Oktober 1958 die Änderung des Reglements für das Jahr 1961 ausgerufen. Denn die Motoren der neuen Königsklasse sollten, zur Begrenzung der Geschwindigkeit und zur Erhöhung der Sicherheit, von 2,5 Litern Hubraum auf maximal 1.500 ccm verkleinert werden. Das war faktisch die Übernahme des geltenden Formel 2-Reglements. Dieses galt seit 1957, sah aber eine Begrenzung der Zylinderzahl auf sechs vor – eine Einschränkung, die für die Formel 1 nicht mehr gelten sollte. Zusätzlich wurde das Regelwerk um Bestimmungen ergänzt, die bessere Sicherheitsstandards garantieren würden. So war künftig nur noch handelsüblicher Kraftstoff mit einer maximalen Oktanzahl von 100 erlaubt und das Mindestgewicht wurde – bei leeren Kraftstofftanks – auf zunächst 500 Kilogramm inklusive aller Kühlmittel und Schmierstoffe festgelegt. Bald danach wurde das Gewicht weiter gesenkt und auf 450 Kilo reduziert. Neu war auch, dass die Monoposti über einen elektrischen Anlasser gestartet werden und demzufolge auch eine Batterie an Bord sein musste. Zudem sollte ein Hauptschalter sicherstellen, dass sich die elektrische Energie zentral ausschalten ließ. Eine weitere und fundamentale Verbesserung war der nun obligatorische Überrollbügel, und erstmals waren auch Befestigungspunkte für Sicherheitsgurte Vorschrift, wenngleich es den Piloten überlassen blieb, diese anzulegen. Pflicht war nun auch ein Zweikreis-Bremssystem. Die Briten waren angesichts ihrer leistungsstarken und erfolgversprechenden Boliden über die neuen Regeln nicht erfreut, und auch Ferrari versprach sich wenig von der neuen Formel 1. Dabei war die Ausgangssituation für beide Seiten nicht schlecht: Die Italiener hatten einen konkurrenzfähigen V6-Motor, und die Cooper mit Climax FPF-Vierzylinder-Aggregat dominierten die Formel 2 ab 1958. Aber der Ärger war da. Die Engländer verzogen sich in den Schmollwinkel. Man verstieg sich gar zu der Behauptung, dass es ein Komplott gäbe, weil die Briten im Begriff wären, den Grand Prix-Sport zu dominieren. Und die Insulaner spekulierten darauf, dass die anderen Hersteller die Investitionen für einen komplett neuen Monoposto scheuen würden. Es war ja auch zu verstehen: Die 2,5-Liter-Formel bot guten Sport und die Geschwindigkeiten bewegten sich in einem akzeptablen Rahmen. Auch die Meinung der Puristen war nicht von der Hand zu weisen, dass eine so zusammengestutzte Königsklasse zu langsam sei und kein Spektakel böte. Also hoffte man mangels williger Teilnehmer auf den Erhalt des Status Quo, verbunden mit dem Wunsch nach einer Erhöhung des Hubraums auf drei Liter. Und man glaubte, die Sportbehörde mit einem Gegenmodell überzeugen zu können. Dieses, die „Inter Continental Formula“, war nahezu identisch mit der alten Formel 1, außer dass Motoren mit bis zu drei Litern Hubraum erlaubt waren. Die Serie sollte von der CSI möglichst – weil alternativlos – übernommen werden. Es wurde ein Flop.Der selbstbezogene Protest hatte Folgen. Der Glaube, dass die FIA ihre Meinung ändern könnte, wirkte sich negativ auf die Entwicklung neuer britischer Grand Prix-Wagen aus – sie fand schlicht nicht statt. Ferrari dagegen hatte mit dem Regelwerk Frieden geschlossen und testete schon 1960 den 1,5-Liter-V6 in einem neu konstruierten Mittelmotor-Chassis im Renneinsatz. Die Ergebnisse stimmten optimistisch. Auch die deutsche Konkurrenz von Porsche war nach dem Gewinn des 1960er Formel 2-Konstrukteurspokals zuversichtlich, eine wichtige Rolle spielen zu können. Die Engländer dagegen erwachten zu spät und liefen einem Entwicklungsrückstand von mehreren Monaten hinterher.
1961
Zum dritten Mal nach 1952 und 1954 wird das Championat nach einer völlig neuen Formel ausgetragen: Der Hubraum wird von 2,5 auf 1,5 Liter reduziert. Proteste der britischen Teams, denen es nach langen Anstrengungen endlich gelungen ist, auf den Pisten den Ton anzugeben, fruchten nicht. Wegen der schweren Unfälle im Verlauf der vorangegangenen Saison werden Überrollbügel vorgeschrieben. Ihre Tauglichkeit hält sich allerdings vorerst in engen Grenzen. Es ist trotzdem die erste wesentliche Sicherheitsvorschrift, seit 1952 der Helm-Zwang für die Piloten eingeführt wurde. Nach zwei Jahren voller Demütigungen durch die Briten ist Ferrari wieder dominant. Die Roten aus Maranello präsentieren den stärksten und besten Wagen der Saison. Einsteiger Porsche kann recht gut mithalten. Nur die Engländer sind schlecht vorbereitet, weil sie bis zuletzt an eine Verlängerung der 2,5-Liter-Formel glaubten. Lediglich auf den fahrerisch anspruchsvollen Pisten in Monaco und Deutschland kann Moss seinen leistungsmäßig unterlegenen Lotus vor der auf Mittelmotoren umgerüsteten italienischen Supermacht Ferrari siegreich ins Ziel bringen.Das Championat entwickelt sich schnell zu einem Zweikampf der beiden Ferrari-Stars Phil Hill und Wolfgang Graf Berghe von Trips. Der rheinische Adelsmann siegt in Zandvoort und Aintree, sein amerikanischer Gegner in Spa. Der Unterlegene des infernalischen Duos landet an diesen Schauplätzen jeweils auf Rang zwei. Nur in Reims können beide ihr Punktekonto nicht verbessern: Von Trips scheidet mit Motorschaden aus, Hill dreht sich in Führung liegend und würgt dabei seinen Sechszylinder ab. Als sein Motor endlich wieder anspringt, ist er zwei Runden hinter dem neuen Spitzenreiter, Richie Ginther auf Ferrari, zurückgefallen. Es herrschen extrem heiße Temperaturen, denen auch Ginthers Motor nicht standhält. Jetzt liegen Giancarlo Baghetti, der seinen ersten Grand Prix fährt, und die Porsche-Piloten Joakim Bonnier und Dan Gurney in Front. Ständig wechseln die Positionen: Mal ist der Ferrari vorn, dann wieder einer der beiden silbernen Vierzylinder aus Zuffenhausen. Eine Vorentscheidung fällt, als der Schwede Bonnier mit rauchendem Motor einen Boxenstopp einlegen muss. Im Finale werden dem routinierteren Amerikaner Gurney die besseren Chancen eingeräumt, und er hält auch die Führung, als das rot-silberne Gespann aus der letzten Kurve heraus beschleunigt. Dann aber greift Baghetti – im Windschatten folgend – erfolgreich an und siegt mit einer Zehntelsekunde Vorsprung. Sensations-Debütant Baghetti wird bei seinen 20 folgenden Starts nur noch insgesamt fünf weitere WM-Punkte kassieren. Bei zwei noch ausstehenden Rennen in Monza und Watkins Glen führt von Trips das WM-Zwischenklassement mit vier Punkten Vorsprung auf Hill an. Monza bringt die Entscheidung: Eine kleine Unachtsamkeit führt zur Kollision mit dem Lotus von Jim Clark. Der Unfall kostet Graf Trips und 15 Zuschauern das Leben – Phil Hill siegt und wird damit Nachfolger von Jack Brabham. Es ist ein trauriger Erfolg. Auf dem Siegerpodest beweint der Champion seinen toten Freund und Rivalen. Aus Gründen der Trauer tritt Ferrari zum Finale in den USA nicht an.
1962
Die zu Beginn nur sehr widerstrebend akzeptierte 1,5-Liter-Formel blüht bereits in ihrem zweiten Jahr mächtig auf. Ferrari modifiziert sein Material nur geringfügig und erlebt ein Waterloo: Titelverteidiger Phil Hill landet im Abschluss-Klassement lediglich auf Rang sechs. Die Gründe für den Untergang sind allerdings nicht nur hausgemacht. Die englischen Achtzylinder-Motoren von BRM und Climax – die im Vorjahr zu spät ins Geschehen eingriffen – sind jetzt vom ersten GP an einsatzbereit. Auch Porsche stockt von vier auf acht Zylinder auf. Noch Wichtigeres tut sich auf dem Chassis-Sektor. Der stets innovative Colin Chapman verabschiedet sich mit dem Typ 25 von der herkömmlichen Rohrrahmen-Bauweise. Lotus-Chef Chapman macht eine „Anleihe“ bei der Flugzeugindustrie und konstruiert einen Rennwagen mit Monocoque-Chassis. Fahrerisch fällt eine Vorentscheidung, noch bevor im holländischen Zandvoort die ersten Punkte vergeben werden. Stirling Moss, zwischen 1955 und 1961 viermal Vizeweltmeister und dreimal Championats-Dritter, verunglückt am Ostermontag in Goodwood schwer. Ein volles Jahr braucht er zur Genesung. Dann wird er an selber Stelle zwar einen inoffiziellen Rundenrekord aufstellen, aber, letztlich unzufrieden mit seiner Vorstellung, endgültig vom F1-Sport zurücktreten. Es ist ein voreiliger, falscher Entschluss, wie Moss rückblickend urteilt.In Abwesenheit des großen Pechvogels der zurückliegenden Jahre – als Bester seiner Epoche holte Moss nie den Titel – entwickelt sich die Meisterschaft zu einem denkwürdigen Duell zwischen den beiden Briten Graham Hill und Jim Clark. Die erste Runde entscheidet Hill für sich. In Monaco gehen die zwei Stars dann leer aus, ohne dass die Fans auf Spannung verzichten müssen: Bruce McLaren siegt mit ganzen 1,3 Sekunden Vorsprung auf Phil Hill, der 1962 nur dieses eine Mal an der Siegerehrung teilnehmen darf. Im belgischen Spa-Francorchamps – Erinnerungen an das Katastrophenjahr 1960 werden wach, als Willy Mairesse und Trevor Taylor bei hohem Tempo kollidieren – gewinnt Clark vor Graham Hill. Der Schotte kann seinen ersten von insgesamt 25 Grand Prix-Siegen unbeschwert genießen, denn Mairesse und Taylor bleiben praktisch unverletzt.
In Rouen keimen dann deutsche Hoffnungen auf, als sich Porsche-Pilot Dan Gurney die volle Punktzahl holt. Dieser Triumph ist den Zuffenhausenern unterm Strich zu wenig. Obwohl Experten dem luftgekühlten (!) Achtzylinder ein hohes Entwicklungspotential bescheinigen, wird sich Porsche zum Saisonende von der F1 verabschieden. Nach dem französischen WM-Lauf teilen sich Clark und Graham Hill die weiteren Erfolge. Der Engländer gewinnt auf dem ,,Ring“ und in Monza – der Schotte in Aintree und Watkins Glen. Clark braucht den Sieg im Finalrennen in Südafrika, um Champion zu werden – jedes andere Ergebnis macht Graham Hill zum Meister. Alles spricht für Clark, der seinem Widersacher unaufhaltsam davonzieht und ihm bis zur „Halbzeit“ fast eine halbe Minute abnimmt. Dann fällt eine Schraube aus dem Kurbelgehäuse – Öl läuft aus, Clark muss aufgeben.
1963
Wer eine erfolgreiche Konstruktion an den Start bringt, weckt automatisch die Aktivitäten von Nachahmern. Chapmans Monocoque-Bauweise, die für die Zuschauer nur „indirekt“ durch die fast liegende Position des Fahrers und winzige Lenkräder erkennbar ist, wird zunächst ansatzweise von BRM und Ferrari kopiert. Die Briten setzen ihr Halbmonocoque bereits vom Saisonstart an ein. Eine vergleichbare italienische Variante folgt erst in Monza. Jack Brabham, seit dem GP von Deutschland 1962 mit eigenem Team und eigenen Autos mit von der Partie, ist absoluter Verfechter der klassischen Rohrrahmen-Boliden, denen er bis zum Ende seiner Karriere im Jahr 1970 treu bleiben wird. Das Team ATS (Automobili Turismo e Sport) macht deutlich, dass es in der Formel 1 extreme Flops schon seit Jahrzehnten gibt. Dabei scheinen die Voraussetzungen für ATS – der Name wird später auch einem deutschen Bewerber im GP-Sport kein Glück bringen – ausgesprochen gut. Kein Geringerer als Carlo Chiti, an der Spitze einer Gruppe von Ferrari-Überläufern, ist für die Technik verantwortlich. Als Pilot kann immerhin Ex-Champion Phil Hill verpflichtet werden. Ihm steht Giancarlo Baghetti zur Seite, der zwei Jahre zuvor in Reims so überraschend triumphierte. In Belgien tauchen die zierlichen Wagen erstmals auf. Hill fehlen nach dem Abschlusstraining mehr als zwölf Sekunden auf die Pole-Position, die sein Namensvetter und Titelverteidiger Graham Hill belegt.Baghetti liegt weitere 27 (!) Sekunden zurück! Der Tiefpunkt wird allerdings in der Eifel erreicht. Auf dem Weg zum Nürburgring verunglückt der Rennwagen-Transporter, und beim Sturz in den Straßengraben wird die kostbare Fracht erheblich beschädigt. Phil Hill selbst ist sich nicht zu schade, bei den Reparaturarbeiten im Fahrerlager mit Hand anzulegen. Doch die Zeit läuft davon: Weder Hill noch Baghetti können auch nur eine einzige Trainingsrunde fahren. Im Kampf um den Titel ist zu diesem Zeitpunkt bereits eine Vorentscheidung gefallen: Graham Hills Triumph beim Auftakt in Monte Carlo folgten vier Siege von Jim Clark, der damit auf Titelkurs liegt. Am Nürburgring taucht dann allerdings ein neues Gesicht ganz oben auf dem Podest auf: John Surtees bringt Ferrari den ersten vollen Punktgewinn in der Formel 1 seit dem tragisch verlaufenen italienischen Grand Prix im Jahr 1961. Niemand kann ahnen, dass diese ,,Eintagsfliege“ den überraschenden Ausgang des 64er-Championats andeutet. Dann kehrt vorläufig wieder Normalität ein: Hill (ein Sieg) und Clark teilen sich das aus vier Rennen bestehende Restprogramm der Saison. Letztlich ist der Schotte derart überlegen, dass er die neun Punkte, die er in East London holt, gar nicht mehr benötigt – als Streichresultat fallen sie unter den Tisch. Erstmals seit dem Trips-Jahr 1961 taucht im Schluss-Klassement mit Gerhard Mitter wieder ein Deutscher auf. Am Steuer eines alten Vierzylinder-Porsche holt er sich auf dem Nürburgring Platz vier.
1964
Große technische Veränderungen werden zu Beginn der vierten 1,5-Liter-Saison nicht verzeichnet. Die Motoren erfahren allerdings eine Weiterentwicklung und überschreiten erstmals die 200-PS-Marke. Die Grenzen des Möglichen werden jedoch erst 1965 voll ausgeschöpft werden. Das wichtigste Ereignis auf der „Hardware“-Seite ist der Einstieg Hondas in die Formel 1. Die Japaner bauen Chassis und Motor. Als Pilot wird der US-Amerikaner Ronnie Bucknum verpflichtet, der mit dem ostasiatischen Boliden am Nürburgring zum ersten Mal auftaucht. Wichtige Änderungen werden hingegen im personellen Bereich registriert. Cooper und Lotus ersetzen jeweils ihre Nummer-2-Piloten. Anstelle von Trevor Taylor fährt nun Peter Arundell neben Clark. Bruce McLarens Leutnant heißt nicht mehr Tony Maggs, sondern Phil Hill. Der Kalifornier ist allerdings nur „zweite Wahl“. Ursprünglich sollte sein Landsmann Tim Mayer eingesetzt werden. Der Bruder des späteren McLaren-Miteigners Teddy Mayer verunglückte aber während der winterlichen Tasman-Serie tödlich. Unfreiwillig muss sogar einer der Chefsessel vorübergehend neu besetzt werden:
John Cooper ist nach einem schweren Autounfall noch nicht wieder einsatzbereit. Er vertraut die Führung seines Rennstalls vor Ort einem gewissen Ken TyrrelI an, der parallel im eigenen Formel-3-Team die schottische Nachwuchs-Hoffnung Jackie Stewart auf größere Aufgaben vorbereitet. Anders als im Vorjahr, ist die WM 1964 sehr umkämpft. Mit John Surtees, Graham Hill. Jim Clark, Lorenzo Bandini und Dan Gurney tragen sich fünf Piloten in die Siegerlisten ein. Der Titelverteidiger schlägt gleich dreimal zu, kommt aber schließlich, hinter dem neuen Champion John Surtees und Hill, nur auf Platz drei der Meisterschaft, weil er oft mit Defekten ausscheiden muss. Die aufregendsten Rennen ereignen sich diesmal in Belgien und auf der simplen Flugplatzpiste von Zeltweg, wo erstmals ein österreichischer Prädikats-Grand-Prix ausgetragen wird. In Spa sieht Dan Gurney wie der sichere Sieger aus, doch wenige Runden vor dem Ziel wird er langsamer, weil sein Spritvorrat zur Neige geht. Nach 30 von 32 Runden will er nachtanken. Die Brabham-Crew ist darauf nicht vorbereitet: Der US-Boy wird wieder ins Rennen geschickt, ohne auch nur einen Liter mehr an Bord zu haben. Inzwischen sind Graham Hill und Bruce Mclaren vorbeigezogen. Im letzten Umlauf heißt die Reihenfolge bei Malmedy entsprechend: Hill, McLaren, Gurney und Clark. Dann bleibt Gurneys Brabham mit trockenem Tank stehen. Unmittelbar darauf parkt Hill aus dem gleichen Grund. In der Haarnadel vor dem Ziel – noch liegen die Boxen hinter „La Source“ – stirbt McLarens Cooper-Climax wegen eines Batterie-Defekts ab, und Clark zieht an dem bergab rollenden Neuseeländer vorbei und siegt! In Zeltweg fallen alle Favoriten aus. Bandini gewinnt mit gut sechs Sekunden Vorsprung auf Ginther. Privatier Bob Anderson liegt als Dritter bereits drei Runden zurück. Unter denen, die nicht ins Ziel kommen, ist auch der junge Deutsch-Österreicher Jochen Rindt, der noch von sich hören lassen wird.
1965
Es ist das fünfte und letzte Jahr der 1,5-Liter-Formel, die nach dramatischen Geburtswehen so erfolgreich aufblühte. Im direkten Vergleich zu den Autos der Nachfolge-Formel wird Graham Hill später die Meinung vertreten, die kleinen Autos der frühen 60er Jahre seien weitaus schwieriger zu fahren gewesen, obwohl sie leistungsmäßig so bescheiden waren. Um die letzten PS aus den Triebwerken zu kitzeln, präsentiert Climax 1965 einen Vierventiler. Parallel wird ein 16-Zylinder entwickelt, der jedoch nicht zur Rennreife kommt. Honda – geschult durch die hubraumarmen, aber vielzylindrigen Motorradmotoren – versucht sich sogar an einem 32-Zylinder, der jedoch das Schicksal der britischen Boxer-Konstruktion teilt. In der Praxis wagt sich Ferrari an die größte Zylinderzahl und setzt den, 1964 im Monza-Training kurz aufgetauchte 180-Grad-V12-Motor ein. Wie ernst Honda das Formel-1-Engagement nimmt, wird durch die Verpflichtung des Amerikaners Richie Ginther deutlich, der dem „Versuchskaninchen“ Bucknum vor die Nase gesetzt wird. BRM füllt die – durch den Abgang des US-Amerikaners entstandene – Lücke durch den Schotten Jackie Stewart, einem entfernten Verwandten Jim Clarks. Mit Jochen Rindt, der bei Cooper unterschreibt, erhält ein weiteres aufstrebendes Talent einen Stammplatz in der Formel 1.
Die Saison entwickelt sich schnell zum „Clark-Jahr“: Nach sieben Starts blickt der Schotte bereits auf sechs Siege zurück und geht bis zu diesem Zeitpunkt nur in Monte Carlo leer aus. Damit hat er nach dem GP auf dem Nürburgring schon die maximale Punktzahl auf seinem Konto, weil nur die besten sechs Resultate gewertet werden. Mögliche weitere Punktgewinne fallen der Streichresultats-Regel zum Opfer. Trotz der Dominanz von Clark kommen drei weitere Piloten zum Zug. Dass Graham Hill – begünstigt durch Clarks Pech – auf seiner Hauspiste in Monaco und in Watkins Glen siegt, überrascht wenig, zumal er seine gute Form durch drei zweite Plätze und insgesamt neun (!) Punktgewinne unterstreicht. Neben den beiden alten Hasen tragen sich aber auch zwei Piloten in die Siegerlisten ein, die bisher noch nie ganz oben auf dem Podest standen: Jackie Stewart, der bereits beim achten Start seiner Formel-1-Karriere zuschlägt, und Richie Ginther, der damit Honda ins Rampenlicht setzt. Stewarts Triumph in Monza ist allerdings nicht ohne teaminternen, bitteren Beigeschmack: In der Reihenfolge Hill vor Stewart kontrollieren die beiden BRM-Fahrer das Rennen, als dem Ex-Champion im Verlauf der vorletzten Runde in der Parabolica ein zeitraubender Fahrfehler unterläuft. ,,Ungefragt“ nutzt sein Leutnant die Chance und gewinnt mit 3,3 Sekunden vor seinem verstimmten Teamkollegen. Als Ginther in Mexiko die Qualität japanischer Ingenieurskunst unter Beweis stellt, kommt das nicht unerwartet. Bereits in Zandvoort führte er nach dem Start für zwei Runden. Historischen Wert hat Ginthers Triumph auch deshalb, weil erstmals ein Goodyear-bereiftes Auto in der Formel-1-WM gewinnt.
Resümee
Ende 1965 lief das 1,5-Liter-Formel 1-Reglement aus. Die Reduzierung des Hubraumes von 2,5 auf 1,5 Liter hatte primär den Zweck, die bis dato er¬reichten Geschwindigkeiten herabzusetzen – dieses Ziel wurde nicht erreicht. Dank der unaufhaltsamen technischen Entwicklung waren die 1,5-Liter-Wagen 1965 schneller als ihre Vorgänger mit einem Hubraum von 2500 ccm. Als das 1,5-Liter-Reglement angekündigt wurde, war man sich darüber einig, dass im Gegensatz zur damals auslaufenden Formel, in der Cooper mit 235 PS den 270 PS starken Ferrari zuletzt eindeutig überlegen war, in erster Linie die Motorleistung ausschlaggebend sein würde. Auch das im Reglement festgelegte Mindestgewicht von 450 Kilo spielte keine wesentliche Rolle. Trotz aller Anstrengung vermochte außer Colin Chapman (Lotus) kein Konstrukteur, einen Wagen zu bauen, dessen Gewicht sich nahe an der vorgeschriebenen Grenze bewegte. Bei allen anderen Fahrzeugen lag das Gewicht 20 bis 75 kg über der Mindestgrenze; der 65er Honda lag sogar ca. 130 kg darüber.
Revolution im Fahrgestellbau
Eine Revolution gab es in der Rahmenkonstruktion, die der Lotus 25 mit selbsttragendem Wagenrumpf hervorrief. Im Vergleich zum vorherigen Typ 24 mit Rohrgitterrahmen hatte er einen um 15 cm schmaleren Rumpf und war bei ungefähr gleichem Gewicht fast viermal so verwindungssteif – das bot die Voraussetzung für eine noch bessere Straßenlage. Er war nicht nur konstruktiv den anderen überlegen war, sondern auch dank seiner hervorragenden Zuverlässigkeit. Diese schrieb Colin Chapman indirekt der Schalenbauweise zu, denn der selbst¬tragende Rumpf erwies sich als praktisch wartungsfrei, so dass den Mechanikern viel mehr Zeit blieb, sich um die an¬deren Aggregate des Wagens zu kümmern. Die Vorteile der Schalenbauweise waren so einleuchtend, dass sich die meisten anderen Konstrukteure entschlossen, ähnliche Konstruktionen zu entwickeln. So realisierte BRM nach einer erfolglosen Kompromiss-Konstruktion ein geschlossenes Rumpfkonzept. Das sollte wenigstens theoretisch eine noch bessere Steifigkeit aufweisen als die offene Schale des Lotus. Die Bauweise des BRM verlangte mehr Aufwand als die Lotus-Konstruktion, die wohl aus diesem Grunde mehr Nachahmer fand, aber nur die 1965 aus der Formel 1-Szene verschwundene BRP kopierte sie blindlings. Die von Ferrari verwendete Schale sah der Lotus¬-Schale sehr ähnlich, besaß aber innere gitterförmige Versteifungen, während im Heck der Motor als tragendes Element der Schale ausgebildet wurde. Am einfachsten war die Cooper-Konstruktion, in der ein klassischer, aber sehr leichter und vereinfachter Gitterrohrrahmen durch eine angenietete, schalenförmige Außenhaut aus Leichtmetallblech verstärkt und weitgehend verwindungsfest realisiert wurde. Nur Brabham orientierte sich am herkömmlichen Gitterrohrrahmen und vermochte sogar, durch eine komplizierte Gestaltung der Kraftstoffbehälter genauso schmale Wagen zu bauen wie die Konkurrenz. Zweifelsfrei stand aber fest: ab dem Zeitpunkt, an dem die Wagen in Schalenbauweise Ihre Kinderkrankheiten überwunden hatten, konnten Fahrzeuge mit Gitterrohrrahmen wegen der weniger steifen Struktur bei äußerster Beanspruchung hinsichtlich der Straßenlage nicht ganz die gleichen Voraussetzungen bieten.
Voraussetzungen für eine bessere Straßenlage
Die Straßenlage und die Motorleistung waren die Bereiche, in denen im Laufe der fünfjährigen 1,5-Liter-Formel 1 die größten Fortschritte erzielt wurden. Sie waren in erster Linie für die Verbesserung der Rundenzeiten auf allen Strecken verantwortlich. In der Verbesserung der Straßenlage haben die Reifen und die Aufhängung ebenso wie die bessere Steifigkeit der Wagenstruktur eine wesentliche Rolle gespielt. Die Aufhängung selbst hatte sich nur wenig geändert und folgte bei allen Marken den gleichen Vorgaben. Die größere Steifigkeit des Fahrgestells hat es aber ermöglicht, den Einfluss kleinerer Änderungen an der Geometrie der Aufhängung, an der Feder-Charakteristik, an den Kurven-Stabilisatoren und an der Stoßdämpfung besser zu ermitteln und ermöglichte somit weitere Fortschritte in der Straßen- und Kurvenlage. Einen noch größeren Einfluss auf die Kurvenlage bewirkten die Fortschritte der Reifen-Technik. Bessere Gummimischungen und Profile wurden entwickelt, die die Bodenhaftung auf trockener und nasser Bahn optimierten. Im gleichen Sinne wirkte auch die Verbreiterung der Auflagefläche, die im Zeitraum von fünf Jahren in Verbindung mit rund 50 Prozent breiteren Felgen in den Kurven zur Reduzierung des Schlupfwinkels und somit zu einer exakteren Führung des Wagens enorm beitrug.
Von 117 auf 147 PS/Liter
Obwohl die Motorleistung im Laufe der Jahre erheblich stieg, war diese nicht ausschlaggebend. Das erste Jahr der Formel bildete eine Ausnahme, da nur Ferrari moderne, eigens für die neue Formel konstruierte Motoren einsetzte. Die Engländer mussten auf ihre für die ausgelaufene Formel 2 konstruierten Motoren zurückgreifen. Mitte 1962 wurde der Achtzylinder-BRM fertig, und Coventry Climax belieferte Lotus, Cooper und Brabham ebenfalls mit einem V8, während Porsche einen Achtzylinder-Boxermotor präsentierte. In ihren praktischen Leistungen lagen damals alle Motoren ungefähr auf der gleichen Höhe. Sie unterschieden sich vor allem bezüglich ihrer Leistungscharakteristik. 1962 saugten die Coventry Climax- und BRM-Motoren ihren Kraftstoff aus Weber-Vergasern und leisteten ungefähr 174 bzw. 190 PS. Im folgenden Jahr wurden bei Coventry Climax der Hub verkleinert und die Bohrung vergrößert, um gefahrlos die Drehzahl steigern zu können. Beide Motoren erhielten das Lucas-Niederdruck-Einspritzsystem, wodurch sich die Leistung um ca. 10 PS auf 185-190 bzw. etwas über 200 PS erhöhte, während der Sechszylinder-Ferrari und der neukonstruierte Achtzylinder ungefähr 190 PS erreichten. Die englischen Achtzylinder-Motoren sowie die Zwölfzylinder-Aggregate von Ferrari und Honda kamen hinzu, die jedoch keine wesentlich höhere Leistung abgaben als die neuesten Versionen der Konkurrenz, d. h. 210 bis 220 PS. BRM und Coventry Climax hatten für die letzte Saison der Rennformel neue Zylinderköpfe entwickelt. Dadurch wurde die Leistung auf 210 bis 215 PS gesteigert. Das BRM-Triebwerk kam auf 220 PS. Das war die letzte Stufe der Entwicklung unter der damaligen Formel. Es entsprach einer im Automobil-Saugmotorenbau einmaligen Literleistung von 147 PS.
Autoren: Jörg-Thomas Födisch/ Rainer Rossbach/ Nils Ruwisch
Fotos: Bernard Cahier, Grand Prix Photo / Peter Nygaard, McKlein